SCHUL.THEATER

Fokus

Performances per Zoom-Plattform

Micha­el Aust & Micha­el Schwinning 

Thea­ter im Lock­down, das hieß schon bald Kachel­thea­ter. Das Kon­fe­renz­tool ZOOM kris­tal­li­sier­te sich dabei schnell als Werk­zeug der Wahl her­aus: Schnel­les Zu- und Abschal­ten von Ton und Bild, hohe Über­tra­gungs­si­cher­heit auch bei schlech­ter Netz­qua­li­tät, vir­tu­el­le Hin­ter­grün­de, ver­schie­dens­te Zuspiel­mög­lich­kei­ten oder eine ver­gleich­bar gute Ton­qua­li­tät bei Musik- und Video­ein­spie­lun­gen lie­ßen über daten­schutz­recht­li­che Beden­ken hin­weg­ge­hen. Es gab ein Spiel vor der Kame­ra in einem erahn­ba­ren vir­tu­el­len oder rea­len Raum. Der Zuschau­er war live dabei und konn­te sich über Chat oder ande­re Mög­lich­kei­ten an der Auf­füh­rung betei­li­gen, was eine gewis­se tat­säch­li­che Prä­senz von Spie­ler und Publi­kum sug­ge­rier­te, inklu­si­ve einer Art von Feed­back-Schlei­fe. Dia­lo­ge und cho­ri­sche Ele­men­te waren mög­lich, sodass auf die­se Wei­se eine gewis­se Nähe zum Thea­ter in sei­ner tra­di­tio­nel­len Form bestand. Das ging so weit, dass digi­ta­les Thea­ter und Kachel­thea­ter per ZOOM fast zum Syn­onym wur­den. Des­halb war es nicht ver­wun­der­lich, dass im Pro­gramm des Fes­ti­vals eine Rei­he von Pro­duk­tio­nen die­sem For­mat folg­ten, es adap­tier­ten oder pro­duk­ti­ons­tech­nisch nachvollzogen.

Femi­nis­Muss – Bay­ern Albert-Ein­stein-Gym­na­si­um Mün­chen, Pro­fil­fach Thea­ter und Film Q11/Q12, Spiel­lei­tung: Ingund Schwarz

Wir wol­len alle eure Erwar­tun­gen erfül­len, aber wer­den dar­an schei­tern – Thü­rin­gen. Evan­ge­li­sches Rats­gym­na­si­um Erfurt, Thea­ter­kurs Klas­se 9, Spiel­lei­tung: Arwen Burg­au und Johan­na Edom

The Wai­ting Room – Nord­rhein-West­fa­len, Mari­en­schu­le Müns­ter, Thea­ter-AG-Ensem­ble ARTIG, Spiel­lei­tung: Chris­ti­an Reick

Was wir dach­ten, was wir taten – Schles­wig-Hol­stein, Beruf­li­che Schu­le des Krei­ses Stor­man, Bad Oldes­loe, Wahl­pflicht­kurs 13. Jahr­gang, Spiel­lei­tung: Iris Klos­ter­mann und Knut Winkmann

SDL- Mediathek 
Wir stel­len alle Auf­füh­run­gen des SDL in unse­rer Fes­ti­val­me­dia­thek bereit. Tickets kön­nen für 29,90 Euro (regu­lär), 19,90 Euro (Mit­glie­der BVTS / Ver­bän­de) oder 9,90 Euro (wenn du einen Gäs­te­pass gekauft hast) erwor­ben wer­den. Zah­le per Über­wei­sung oder Pay­pal und erhal­te sofort Zugriff auf alle unten auf­ge­führ­ten Mit­schnit­te. Das Pass­wort erhältst du, sobald dei­ne Zah­lung ein­ge­gan­gen ist (bei Pay­pal sofort!). 

Auf­fäl­ligs­tes und sicher über­zeu­gends­tes Bei­spiel aus die­ser Rei­he ist das Stück Femi­nis­Muss einer Ober­stu­fen-Mäd­chen-Spiel­grup­pe aus München.

Das ca. vier­zig­mi­nü­ti­ge Stück kon­fron­tiert den Zuschau­er mit ver­schie­de­nen per­for­ma­ti­ven Sze­nen zum The­ma Femi­nis­mus im wei­tes­ten Sin­ne. Neben Defi­ni­ti­ons­aspek­ten bie­tet es Zita­te von Pro­mi­nen­ten wie Emma Wat­son und Mala­la, die von ein­zel­nen Schü­le­rin­nen prä­sen­tiert wer­den. Ande­re Sze­nen spie­len dia­lo­gisch Män­ner­ge­ha­be im Streit mit Frau­en­fra­gen aus oder schal­ten jun­ge Frau­en zusam­men, die unter­schied­li­che Ansich­ten ver­tre­ten, wie die idea­le Klei­dung, nebst Bein­ra­sur, auf einer Par­ty aus­se­hen könn­te. Poli­ti­sche Zita­te als Reeinact­ment ein­zel­ner Spie­le­rin­nen wir­ken humor­voll im Ver­gleich zu betrof­fen machen­den Sze­nen mit sexis­ti­schen Wer­be­mo­ti­ven als vir­tu­el­lem Hin­ter­grund oder Zita­ten von Schlag­zei­len, in denen Gewalt­ta­ten gegen Frau­en doku­men­tiert wer­den, wäh­rend Spie­le­rin­nen in der Bade­wan­ne Todes­kämp­fe pan­to­mi­misch aus­spie­len. Die Per­for­mance gip­felt in einer lan­gen Sequenz von cho­risch gegen die Kame­ras vor­ge­führ­ten aggres­si­ven Hand­lun­gen und Lei­den zum Song Renn! von Enno Bun­ger, bis alle Spie­le­rin­nen in eine syn­chro­ne Bewe­gung ein­stie­gen, in der sie mit der rech­ten Faust und einer vor die Brust schla­gen­den Bewe­gung ihre Soli­da­ri­tät mit­ein­an­der zelebrieren.

Thea­tral wirkt die­se Per­for­mance betrof­fen machend durch die Prä­senz der Spie­le­rin­nen und die Liveness der Dar­bie­tung auf dem SDL, inklu­si­ve eini­ger Umfra­ge­ele­men­te per slido.com, die den Zuschauer*innen eine akti­ve Mit­spra­che und Mit­wir­kung ermög­lich­ten. Ande­rer­seits bleibt die­se Art der Prä­sen­ta­ti­on immer eine Kon­fe­renz, die den Zuschau­en­den auf Distanz lässt. Eine Ansamm­lung von opti­schen Kacheln, die alle Augen oder Mün­der prä­sen­tie­ren, beein­dru­cken zwar, sind aber letz­ten Endes weit weg. Zu die­ser Distanz trägt die auf ZOOM unum­gäng­li­che fil­mi­sche Kom­po­nen­te bei. Groß- und Detail­auf­nah­men über­wie­gen. Die Kame­ra spielt mit ihren mög­li­chen Per­spek­ti­ven, die hier beein­dru­ckend aus­ge­lo­tet wer­den, eine tra­gen­de media­le Rol­le zwi­schen Zuschau­en­den und Spielenden.

Die Pro­duk­ti­on bleibt in die­ser Prä­sen­ta­ti­ons­form, in der Per­fek­ti­on des Spiels und der Nut­zung durch­aus ein inter­es­san­ter Bei­trag zum Fes­ti­val und sei­nem The­ma. ZOOM erwies sich zum Trans­port der Bot­schaf­ten und Inhal­te als idea­les Tool. Für in Prä­senz gespiel­tes Thea­ter bleibt es nur ein beding­ter Ersatz.

Thea­ter bil­det sich hier in beson­de­rer Form in cho­reo­gra­phier­ten Kacheln im digi­ta­len Raum ab. Das ver­än­dert die Art thea­tra­ler Prä­sen­ta­ti­on auch, indem sie Ein­bli­cke in pri­va­te Lebens­wel­ten gibt, die hier unter ande­rem als „Büh­nen­bild“ erschei­nen. Die Dar­stel­lung wird geprägt von For­ma­ten der Selbst­dar­stel­lung, mit deren Hil­fe wir­kungs­voll kom­mu­ni­ziert wer­den kann.

Gleich­zei­tig spie­gelt die­se Form digi­ta­le Wel­ten wider. Infor­ma­tio­nen wer­den viel­fach über fil­misch ver­mit­tel­te Blog-For­ma­te oder fil­mi­sche Repor­ta­gen ver­brei­tet. Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Inhal­ten und Mei­nun­gen nut­zen die Mög­lich­kei­ten der Kon­fe­renz­werk­zeu­ge und der bild­ge­ben­den digi­ta­len Ver­fah­ren. Men­schen syn­chro­ni­sie­ren und ver­lie­ren sich über digi­ta­le Medi­en in ihrem Enga­ge­ment und ihrer Verweigerung.

Gleich­zei­tig kann die­se Form den Zuschau­er zu kri­ti­scher Hal­tung gegen­über media­len Inhal­ten anre­gen: Was sind die Umfra­ge­er­geb­nis­se wert? Wie reprä­sen­ta­tiv sind die aus­ge­wähl­ten Zita­te und Bil­der zum The­ma? Wie sehr nimmt die Ernst­haf­tig­keit in Spiel und For­mat den Zuschau­er ein – und mani­pu­liert in gewis­ser Wei­se schon in der Form? Fra­gen, die nicht nur den Umgang mit digi­ta­len Medi­en betref­fen, zu denen aber die­se Auf­füh­rung bei kri­ti­scher Betrach­tung unbe­dingt hinführt.

Ähn­li­ches leis­tet Wir wol­len alle Erwar­tun­gen erfül­len, aber wer­den dar­an schei­tern (Thü­rin­gen), eine ZOOM-Prä­sen­ta­ti­on als Game­show mit einem Mode­ra­tor und sie­ben Teilnehmer*innen, die ver­schie­de­nen Live-Chal­lenges aus­ge­setzt wer­den. Die Punk­te für Sie­ger und Ver­lie­rer, die der Mode­ra­tor in Form von bun­ten Bäl­len in Glä­ser mit Namen der Spieler*innen füllt, erge­ben sich zum Teil aus der Rang­fol­ge beim jewei­li­gen Game oder aus der Abstim­mung des Publi­kums. Dazwi­schen wer­den die Spieler*innen mit per­sön­li­chen Daten bzw. Beschrei­bun­gen von Hal­tun­gen vor­ge­stellt, wäh­rend sie wie ruhen­de Gam­ing-Figu­ren in ihren Räu­men zu Hau­se wip­pen. An ver­schie­de­nen Stel­len, nicht zuletzt am Schluss, prä­sen­tie­ren aus­ge­wähl­te Spieler*innen selbst ver­fass­te Tex­te rund um das The­ma „Erfül­len von Erwar­tun­gen“ oder „Schei­tern“ aus dem Blick­win­kel von Erfolg oder Schönheit.

Obwohl das The­ma selbst auf die im Inter­net (und im Leben) omni­prä­sen­te Fra­ge wir­kungs­vol­ler Selbst­prä­sen­ta­ti­on ver­weist, bleibt die Auf­füh­rung in die­ser Hin­sicht ver­gleichs­wei­se zurück­hal­tend. Die­ser Ein­druck ent­steht vor allem durch die etwas belie­big wir­ken­den Auf­ga­ben­stel­lun­gen. Auf der einen Sei­te ist es eine rea­le Her­aus­for­de­rung, in die­sem Kon­text das Publi­kum zu fra­gen, wer sei­ner Mei­nung nach ver­lie­ren sol­le oder wer das schöns­te Zim­mer habe. Fra­gen, auf die die real Spie­len­den nicht nur Punk­te, son­dern eben auch ein öffent­li­ches Feed­back erhal­ten. Ähn­lich auch die bekann­te Tik­Tok-Chall­enge „Nimm einen Fin­ger run­ter, wenn…“, bei der die Bedin­gun­gen so gestellt sind, dass der Spie­ler aus dem nied­rigs­ten sozia­len Hin­ter­grund die wenigs­ten Punk­te bekommt. Ande­re „Spie­le“ aber sind rei­ne Geschick­lich­keits- und Kraft­spie­le, bei denen die Gewin­ner inner­halb der Grup­pe vor­her­seh­bar sind.

Die Spieler*innen inklu­si­ve des Mode­ra­tors blei­ben fest an ihren Online-Plät­zen, die erkenn­bar in ihren Zim­mern ver­or­tet sind, und bege­ben sich höchs­tens für sport­li­che Übun­gen in die Stand­waa­ge, in eine bis zum bit­te­ren Ende durch­ge­hal­te­ne Knie­beu­gen-Chall­enge oder in eine kör­per­li­che Prä­sen­ta­ti­on von sich selbst als Gam­ing-Figur. Ins­ge­samt dräng­te sich der Ein­druck auf, dass etwas ver­schwamm, was real und was „script­ed“ war. Ist der Per­sön­lich­keits­strip­tease even­tu­ell ein dra­ma­tur­gi­sches Mit­tel? Und wird damit nicht der Ver­dacht einer Fake-Rea­li­ty auf­ge­deckt, wie er uns ja tat­säch­lich aus allen Unter­hal­tungs­pro­gram­men ent­ge­gen leuch­tet? Die Grup­pe unter­stützt eine sol­che Sicht durch eine immer absur­der wer­den­de Punkt­ver­ga­be, die einer­seits allen Prin­zi­pi­en von Gerech­tig­keit wider­spricht, ande­rer­seits aber auch eine Gewin­ne­rin am Ende kürt, deren Sieg von Anfang an in der Luft lag.

Digi­ta­li­tät ermög­lich Mani­pu­la­ti­on auf vie­len Ebe­nen, etwa bei der Bild­be­ar­bei­tung oder bei dra­ma­tur­gi­schen Abspra­chen im Rah­men von Live-Insze­nie­run­gen, die den Sie­ger und die Span­nungs­kur­ve der Prä­sen­ta­ti­on vor­aus­pla­nen. In die­ser Hin­sicht könn­te die Per­for­mance ein kri­ti­scher Bei­trag zum The­ma Digi­ta­li­tät gewe­sen sein, was aber so nicht pro­ble­ma­ti­siert wurde.

Eine wei­te­re Pro­duk­ti­on im ZOOM-For­mat behan­del­te das The­ma The Wai­ting Room (Nord­rhein-West­fa­len). Das Stück zeigt in einer lan­gen Serie von Mono­lo­gen Men­schen in War­te­si­tua­tio­nen. Den the­ma­tisch-inhalt­li­chen Back­ground lie­fert eine Art Mas­ter­mind-Figur mit all­ge­mei­nen Refle­xio­nen, die immer wie­der zwi­schen die Mono­lo­ge geschal­tet werden.

In der Prä­sen­ta­ti­on sind stets drei bis vier Kacheln geöff­net, in denen eine Spie­le­rin ihren Mono­log spielt,  wäh­rend in den ande­ren Kacheln pan­to­mi­misch par­al­lel agiert wird, wobei die dor­ti­gen Figu­ren zu ande­ren Zei­ten die Haupt­ka­chel bespie­len bzw. bespielt haben und ihre eige­ne Prä­sen­ta­ti­on dadurch vor­be­rei­te­ten oder in gewis­ser Wei­se fort­set­zen. Anders als in ande­ren Pro­duk­tio­nen, die Zoom als zen­tra­le Tech­nik nutz­ten, wur­den die Bild­aus­schnit­te hier insze­niert als ein Blick in Innen­räu­me durch die 4. Wand. Der Zuschau­er sieht Figu­ren als Han­deln­de in ihren Räu­men, etwa einer Sport­hal­le oder auch nur dem obe­ren Teil eines Bet­tes. Dar­aus ent­wi­ckelt sich eine Erwar­tungs­hal­tung in Bezug auf das Pro­blem der Figur. Schnell wird deut­lich, dass Bestands­auf­nah­men einer Situa­ti­on gezeigt wer­den. In kei­ner der Sze­nen fin­det eine Ent­wick­lung statt, so dass alle am Ende ihres Mono­logs in die War­te­hal­tung zurück­keh­ren. Die Mono­lo­ge wer­den zwangs­läu­fig an das Publi­kum gerich­tet, was schluss­fol­gern lässt, dass die Figu­ren wis­sen, dass sie beob­ach­tet wer­den. Das Spiel zieht dar­aus aber kei­ne Konsequenz.

Vie­le der War­te­si­tua­tio­nen ent­nah­men die Schü­le­rin­nen den Erwach­se­nen­wel­ten, die sie mit Bemü­hen nach­zu­emp­fin­den such­ten: War­ten auf ein Cas­ting, Abge­schie­den­heit in einer Anstalt nach einer trau­ma­ti­sie­ren­den Fami­li­en­ka­ta­stro­phe, Nicht-mehr-gefragt-Sein als Star oder Auf-Pau­sen-War­ten im Büro. Ande­re Situa­tio­nen wer­den durch­aus dem Leben Jugend­li­cher abge­schaut: War­ten auf das Com­pu­ter­up­date, obwohl drin­gend ein Bewer­bungs­ter­min ein­ge­hal­ten wer­den muss, War­ten auf das Ergeb­nis eines Schwan­ger­schafts­tests oder Aus­lo­ten der Mög­lich­keit einer Ver­ab­re­dung. Neben den rei­nen Mono­lo­gen prä­sen­tie­ren sich die Sze­nen als Dia­log mit Stim­men aus dem Off, fik­ti­ven Gesprä­chen oder Bewe­gungs­prä­sen­ta­tio­nen zu Musik. Die sicht­ba­ren Kacheln lie­fern die Gegen­wart von Par­al­lel­wel­ten, neh­men sehr sel­ten oder eher zufäl­lig Bezug auf die zeit­glei­chen Situa­tio­nen. Aus­nah­me: In der Sze­ne, in der eine Figur anfängt dar­um zu beten, nicht schwan­ger zu sein, fal­ten in den ande­ren drei Kacheln die Spieler*innen auch die Hän­de wie zum Gebet. Es gab auch ande­re Momen­te, in denen man mein­te, für einen Sekun­den­bruch­teil eine Kor­re­spon­denz der Situa­tio­nen zu erken­nen, dar­aus ent­stand aber nie eine über­ge­ord­ne­te Erzähl­ebe­ne, die das Kon­zept ja im Grun­de auch verbietet.

Bei die­ser Pro­duk­ti­on bekom­men der Büh­nen­raum und das Kos­tüm größ­te Auf­merk­sam­keit, da sie sehr bewusst gewählt, nicht nur bespielt wer­den, son­dern atmo­sphä­risch mit­spie­len. Um dafür genü­gend Raum auf den Bild­schir­men zu gewin­nen, sind jeweils maxi­mal vier Kacheln offen, was aller­dings schon für ein Han­dy­dis­play ungüns­tig ist. Die Pro­duk­ti­on ver­langt eine grö­ße­re Bild­flä­che, um die Bild­hin­ter­grün­de auszuloten.

Auch die­se Prä­sen­ta­ti­on war erkenn­bar der Distanz­un­ter­richt­si­tua­ti­on geschul­det, da der Iso­la­ti­ons­zwang logisch dazu führ­te, in Mono­lo­gen zu arbei­ten. Die rela­tiv will­kür­li­che Rei­hung der Sze­nen, die kei­ne zwin­gen­de Dra­ma­tur­gie erken­nen lie­ßen, ver­setz­ten den Zuschau­er selbst in die dra­ma­ti­sche Situa­ti­on des War­ten­den, denn das Kon­zept und damit die Anzahl der Mono­lo­ge erschlos­sen sich schnell.

Digi­ta­li­tät bil­det sich hier ab als Rea­li­tät, in der vie­le Wel­ten und Wirk­lich­kei­ten neben­ein­an­der exis­tie­ren. Im digi­ta­len Raum geschieht unend­lich vie­les par­al­lel und in Form von Selbst­dar­stel­lung. Und es gibt eine Pseu­do­kom­mu­ni­ka­ti­on mit einem Gegen­über, das beson­ders schwer ein­zu­schät­zen ist. Da Wai­ting Room ohne akti­ve Publi­kums­re­ak­ti­on kon­zi­piert wur­de, war immer unklar, ob die Per­for­mance live statt­fin­det, was die Form sug­ge­riert. Nur Recher­che bestä­tigt, dass es sich um ein Live-Event han­del­te, das schon vor­her im schu­li­schen Umfeld so rea­li­siert wor­den war.

Bei Was wir dach­ten, was wir taten aus Schles­wig-Hol­stein war von Anfang an klar, dass es sich um kei­ne Liv­e­pro­duk­ti­on han­del­te. Das Stück reflek­tiert in Selbst­aus­sa­gen ver­schie­de­ner Schüler*innen den Ablauf und die Hin­ter­grün­de eines Amok­laufs. Es han­delt sich um die Adap­ti­on der viel beach­te­ten Roman­vor­la­ge von Lina-Lea Opper­mann, die schon Bear­bei­tun­gen als Dra­ma­ti­sie­rung und Hör­buch erfah­ren hat. Eine mas­kier­te, bewaff­ne­te Per­son dringt in eine Schul­klas­se ein und bedroht die Anwe­sen­den, zunächst ohne erkenn­ba­res Ziel. Schnell stellt sich aber her­aus, dass die Per­son sehr viel unan­ge­neh­mes Detail­wis­sen über die Mit­glie­der der Grup­pe hat. Es geht um Kon­se­quen­zen mora­lisch ver­werf­li­chen Han­delns, die im Ver­lauf des Stü­ckes eskalieren.

Die hier ein­ge­setz­te fil­mi­sche Pro­duk­ti­on bannt die Aus­sa­gen der Schü­ler vor jeweils wei­ßer Rück­wand in Kacheln eines Split­screens und folgt so in der Ästhe­tik dem Thea­ter-Kachel­prin­zip. Die fest­ge­hal­te­nen Tex­te, neu­tra­ler Bericht, State­ments zur Situa­ti­on oder zu Per­so­nen, aber auch wört­li­che Zita­te aus der Amok­si­tua­ti­on, ver­wei­sen auf eine gute sprach­li­che Schu­lung der Spieler*innen. Trotz eines nicht immer linea­ren Vor­an­ge­hens in der Hand­lung, ist stets klar, wer sich wozu gera­de mit wel­cher Emo­tio­na­li­tät wozu äußert.

Da es sich über­wie­gend um geschickt mon­tier­te Schnip­sel von Zeu­gen­aus­sa­gen han­delt, ist die for­mal-ästhe­ti­sche Ent­schei­dung für das Split­screen-For­mat kon­se­quent. Die fil­mi­sche Bear­bei­tung erlaubt eine rasan­te Text- und Fens­ter­wech­sel-Fol­ge, in der der Klas­sen­raum optisch evo­ziert wird. Im Kachel­mus­ter ent­steht eine fes­te Sitz­ord­nung der Schüler*innen und des Leh­rers. Die eigent­li­che dra­ma­ti­sche Hand­lung wird nicht visua­li­siert, son­dern erin­nert an das dra­ma­tur­gi­sche Prin­zip der „Mau­er­schau“. Die ein­ge­setz­ten Mit­tel evo­zie­ren dabei sehr ein­drück­lich die beklem­men­de Vor­stel­lung der Ereignisse.

Dazu kom­men fil­mi­sche oder foto­gra­fi­sche Ele­men­te, die den Kacheln hin­ter­legt oder ein­ge­fügt sind, wie etwa die anfäng­li­che Durch­sa­ge einer Gefahr über die Laut­spre­cher­analage der Schu­le oder eine Kame­ra­fahrt in Nega­tiv­op­tik durch einen Wald. Das sind fil­mi­sche und bild­haf­te Ergän­zun­gen, die den Inhalt sze­nisch visu­ell ver­dich­ten und die ohne­hin schon span­nen­de Prä­sen­ta­ti­on posi­tiv stüt­zen. Ein zusätz­li­ches dra­ma­tur­gi­sches Ele­ment sind Wech­sel in den Kachel­grö­ßen, etwa um die Auto­ri­tät der Leh­rer­fi­gur oder das Ent­set­zen ein­zel­ner Schüler*innen hervorzuheben.

Ins­ge­samt war die Pro­duk­ti­on eine gut durch­dach­te, über­zeu­gend gespiel­te und pro­fes­sio­nell mon­tier­te Umset­zung der Roman­vor­la­ge in ein fil­mi­sches, digi­ta­les For­mat. Eine Aus­ein­an­der­set­zung mit der digi­ta­li­sier­ten Welt, der die­se ästhe­ti­sche Form ent­lehnt war, war hier nicht Absicht und hät­te der span­nen­den Wir­kung der Erzäh­lung eher geschadet.

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MIchael Aust 

Leh­rer am Egbert-Gym­na­si­um der Bene­dik­ti­ner in Müns­ter­schwarz­ach. Seit Beginn erzie­he­ri­scher und unter­richt­li­cher Tätig­keit Thea­ter­leh­rer in ver­schie­dens­ten Insze­nie­rungs­for­men und Grup­pie­run­gen. Aus­ge­bil­det an der Aka­de­mie in Dil­lin­gen und an der Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg. Seit­dem als Refe­rent und Autor in ver­schie­de­nen Zusam­men­hän­gen tätig. Vor­sit­zen­der des Ver­bands Thea­ter am Gym­na­si­um in Bay­ern und Mit­glied des erwei­ter­ten Vor­stands der Lan­des­ar­beits­ge­mein­schaft Thea­ter und Film in Bay­ern, zustän­dig für die Orga­ni­sa­ti­on der Aus­bil­dung von Juni­or Assis­ten­ten Theater.

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Michael Schwinning 

Arbei­tet seit den acht­zi­ger Jah­ren als Thea­ter­leh­rer an einem Ham­bur­ger Gym­na­si­um, war von 2009 bis 2014 im Vor­stand des Ham­bur­ger FvTS tätig und Mit­or­ga­ni­sa­tor des Schul­thea­ter der Län­der 2009 in Ham­burg (Site Spe­ci­fic) sowie des Ham­bur­ger Fes­ti­vals „thea­ter­macht­schu­le“, tms. Er hat zahl­rei­che Tex­te für die Publi­ka­tio­nen Spiel&Theater, Schul­thea­ter und für den Fokus Schul­thea­ter ver­fasst. Thea­ter­grup­pen unter sei­ner Lei­tung neh­men regel­mä­ßig an loka­len Wett­be­wer­ben teil. 

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