Literatur- und Theaterwissenschaftlerin M.A., Performerin,Theaterpädagogin BuT®. Lebt und arbeitet als Theatermacherin in Berlin, seit 18 Jahren leitet sie theaterpädagogische Weiterbildungslehrgänge BuT®, seit 2014 bei der LAG Spiel & Theater Berlin e.V.
Literatur- und Theaterwissenschaftlerin M.A., Performerin,Theaterpädagogin BuT®. Lebt und arbeitet als Theatermacherin in Berlin, seit 18 Jahren leitet sie theaterpädagogische Weiterbildungslehrgänge BuT®, seit 2014 bei der LAG Spiel & Theater Berlin e.V.
Am 16. März 2020 rutschten wir mit zwei laufenden Weiterbildungsgruppen in den digitalen Raum. Online weitermachen oder abwarten war für viele Institute die Frage. Schnell gründeten sich kollegiale Austauschgruppen. Ich selbst hatte das Bedürfnis, innehalten zu wollen statt mich in Aktionismus zu stürzen. Es musste noch einen anderen Weg geben, als unsere analogen Anleitungskonzepte an ein Zoommeeting anzupassen.
Unsere Weiterbildungsgruppen sind heterogen, sie kommen aus künstlerischen, pädagogischen und sozialen Berufen, das Alter der Teilnehmenden bewegt sich von Anfang 20 bis Mitte 50. Überwiegend wird in der außerschulischen Theaterarbeit gearbeitet, in unterschiedlichen Institutionen oder frei, mit unterschiedlichen Altersgruppen. Das technische Vorwissen war heterogen wie unsere Gruppen.
Die plötzliche Veränderung des Lebens war für viele eine Herausforderung. Die Kommunikation funktionierte nicht wie gewohnt, es gab Aufregung und Aktionismus, existentielle Sorgen standen im Raum. Im digitalen Unterrichtsraum kannten wir uns nicht aus, wir waren unfreiwillig hineingebeamt ins Fremde. Der Lockdown im März löste viele Emotionen aus.
Und so war unser Schritt in die erste Zoomkonferenz davon motiviert, mit den Teilnehmenden in dieser verunsichernden Situation den Kontakt zu halten und ihnen zu versichern, dass wir da irgendwie durchkommen, so dass sie ihre Weiterbildung erfolgreich abschließen können.
Inzwischen ist fast ein Jahr vergangen, der zweite Lockdown ist Realität, eine Gruppe hat Anfang November erfolgreich mit einer Prüfung abgeschlossen. Einige Abschlussarbeiten wurden zu Dokumentationen von Pionierarbeit, im Ringen um einen erfolgreichen Abschluss eines unter anderen Voraussetzungen begonnenen Theaterprojektes.1Ein prominentes Beispiel einer Pionierarbeit ist das intergenerative Projekt „Wir sind gestern, heute, morgen.“, unter der Leitung von Uta Plate beim Theater Strahl. (https://theater-strahl.de/projekte/, https://youtu.be/fRWxsnkJHzI) Einige Module sind Online gelaufen, einige analog in größeren Räumen, Inszenierungen wurden mit Abstand realisiert, Stationentheater mit Maske, Videowalks im öffentlichen Raum und auch hybrides Arbeiten haben wir inzwischen ausprobiert. Mit der noch laufenden Grundlagenbildung befinden wir uns aktuell im zweiten Lockdown, der Weiterbildungsabschluss ist um drei Monate in den August verschoben.
Derzeit finden bis Ende März alle drei Wochen online Treffen statt, bei denen wir unsere bisherigen Erfahrungen mit Digitalität und der veränderten Unterrichtssituationauswerten. Die Teilnehmenden und die Anleiter*innen bringen ihre Erfahrungen auf Augenhöhe ein und der Raum wurde für zwei weitere Interessentinnen von außen geöffnet.
Hier ein Einblick in unseren bisher erlebten Prozess, unsere praktischen Erfahrungen und theoretischen Überlegungen.
(Siehe auch)2Profis des Ausprobierens. Lernen im digitalen Zeitalter, Leonie Vögelin. In: Netztheater. Positionen, Praxis, Produktionen. Bd 14 der Schriftenreihe Bildung und Kultur. Hrsg. Von der Heinrich Böll Stiftung und nachtkritik.de, 2020
„Eine wichtige Fähigkeit von Theaterpädagog*innen ist es, sich auf Ungewissheit einlassen zu können, die Ambiguitätstoleranz. Wir haben einen großen Lernraum vor uns. Ich lade Euch ein, den fremden Raum in seiner Ortsspezifik zu erkunden und unsere Beobachtungen und Erfahrungen unter einer theaterpädagogischen Perspektive auszuwerten.“
So die Einleitung zu unserem ersten Zoomtreffen mit der Grundlagenbildung Theaterpädagogik BuT Ende März 2020. Thema des Wochenendes war biografisches Theater. Unsere Ausgangsfragen im März waren:
Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit und welche ästhetischen Möglichkeiten bietet dieser Raum, jenseits unserer bisherigen analogen Erfahrungen? Wie lässt sich Sinnlichkeit vermitteln? Lässt sich ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen, wann und wodurch stellt sich Verbundenheit ein? Wie fühlt es sich an, szenisch etwas zu präsentieren und welche Zuschauerfahrungen machen wir? Was bemerken wir zum Thema „Zugänglichkeit für alle“?
Bei all unseren Beobachtungen und Erfahrungen ebenso wach und aufmerksam zu sein für das Randständige, für die Überraschungen und Störungen, für unsere Irritationen und Gefühle und für das, was wir nicht sofort einordnen können. Auch Momente zu registrieren, in denen wir uns nicht angesprochen, einsam und unverbunden gefühlt haben, gelangweilt, überfordert und angestrengt. Wahrzunehmen, dass auch diese Erfahrungen wertvoll sind und uns bei der Orientierung helfen.
Und bei technischen Herausforderungen unser Schwarmwissen zu nutzen, nach Lösungen zu suchen, uns dabei geduldig die Hand zu reichen und dies als Teil des Lernprozesses zu verstehen. Eine Einladung zu einer Reise in ein unerforschtes Gebiet für Reisende mit mehr oder weniger Reiseerfahrung.3Dabei haben wir uns im weitesten Sinne auf Konzepte der künstlerischen Forschung bezogen im Sinne einer teilnehmenden Beobachtung.
Forschendes Theater in sozialen Feldern. Theater als soziale Kunst III. Melanie Hinz, Micha Kranixfeld / Norma Köhler / Christoph Scheurle (Hg.), München 2018. „Künstlerische oder Theatrale Forschung findet da statt, wo sich Menschen mit der oben für notwendig erwähnten Neugierde ins Unbekannte begeben und sich dabei entsprechender Strategien und Techniken bedienen.“ Christoph Scheurle, Das Forschen aller?, ebd. S. 276 Irrwege erhöhen die Ortskenntnis.
Meine Erfahrungen mit Online-Unterricht waren im März 2020 übersichtlich bis nicht vorhanden, so verlief das erste Online-Meeting holprig, aber vergnüglich. Als Anleitende mussten wir uns genauso orientieren wie unsere Teilnehmer*innen. Wir experimentierten mit angepassten Aufgabenstellungen und die technisch Erfahrenen unterstützten bei der Umsetzung. Das gemeinsame Lernen verlief kooperativ und mit schnellem Wissenszugewinn bei technischen Fragen, gemeinsam unwissend zu sein hat uns ein Lernen auf Augenhöhe ermöglicht.
In der theaterpädagogischen Grundlagenbildung gehört die Reflexion der Erfahrungen, die die Teilnehmenden spielend machen, zum Lernprozess, der es ermöglichen soll, sich später in der leitenden Rolle empathisch in die Bedürfnisse der Teilnehmenden einfühlen zu können. Diese Übung in Reflexion können wir im digitalen Raum doch grundsätzlich auch leisten?
Hier teile ich die Auffassung, es sei „nicht ausreichend, wenn in der Ausbildung von Theaterpädagog*innen oder in der Fachliteratur – wie oft beobachtet – der zentrale Fokus auf dem Vermitteln von Übungen und Methoden liegt.“ (…) sondern, dass „die klare Intention der Leitung in jedem Fall der absolut wesentliche Kern der gelungenen Theaterarbeit ist“.4Sandra Anklam, Verena Meyer, Thomas Reyer, Didaktik und Methodik in der Theaterpädagogik. Seelze 2018, S. 11 und ebd., Lorenz Hippe, S. 8
Auf der Ebene der Kommunikation erlebte ich als Anleitende, dass ich auf einen wichtigen Bereich meines Erfahrungswissens nicht zugreifen konnte, auf meine Intuition. Als erfahrene Anleiterin verstehe ich sofort die nonverbalen Zeichen einer Gruppe im analogen Raum, kann „Stimmungen“ aufnehmen, habe ein Gefühl für Rhythmus und Flow einer Unterrichtseinheit, kann den „Energiepegel“ der Gruppe wahrnehmen und darauf reagieren. Beim Online-Unterricht hatte ich keinen intuitiven Kanal, ich vermisste die direkte Resonanz. Ich war mir also nicht sicher, ob sich diese Intention vermittelte.
Andererseits: wissen wir nicht aus Erfahrung, dass das Ausblenden eines Sinnes für die anderen Sinne sensibilisiert?
Die Erwartung von Teilnehmenden einer Weiterbildung sind gelegentlich: „Zeige mir, wie ich Kindern und Jugendlichen beibringe, richtig zu schauspielern. Welche Methode setze ich bei 11-jährigen ein, usw.“ vgl.5Sandra Anklam, Verena Meyer, Thomas Reyer, Didaktik und Methodik in der Theaterpädagogik. Seelze 2018, S. 11 und ebd., Lorenz Hippe, S. 8
Häufig verbindet sich diese Erwartung mit einem Bedürfnis nach Kategorisierung und Einordnung in richtig – falsch, gut – schlecht, nützlich – unbrauchbar und äußert sich in der sprachlichen Bewertung von Prozessen. Auch Loben unterstreicht das Machtgefälle in unserer Beziehung. Für künstlerische und kreative Prozesse scheint es mir hilfreicher, sich Phänomenen offen und vielperspektivisch zu nähern, im Feedback Beobachtungen und emotionale Wirkungen einer Szene aus der Ich-Perspektive zu beschreiben statt Ratschläge zu geben und „Wünsche“ zu äußern. Daher nimmt das Erlernen eines bewussten Umgangs mit Sprache und professioneller Feedbackkultur einen wichtigen Platz in unseren Weiterbildungen ein.
Ein starkes Bedürfnis nach Kategorisierung verhindert die offene Suchbewegung im kreativen Prozess. Unsere Teilnehmenden dafür auszubilden, diese Prozesse zukünftig in ihren Gruppen zu begleiten, einen kreativen Entwicklungsraum zu öffnen und Vielstimmigkeit zuzulassen ist unser Ziel.6Dorothea Hilliger, K_eine Didaktik der performativen Künste, Theaterpädagogisch handeln im Framing von Risk, Rules, Reality und Rhythm. Berlin, Milow, Strasburg 2018
In einer allgemein verunsichernden Lebenssituation wie einer Pandemie sich nun auch noch auf Vielperspektive einzulassen erfordert Mut. Hier hat sich dennoch ein beeindruckender Entwicklungsprozess vollzogen.
Derzeit werfen wir einen Blick zurück auf bereits ausprobierte Verfahren und stellen uns folgende Fragen: Welche Erfahrungen konnten wir bisher gewinnen für eine postpandemische Zeit? Wie können wir unsere digitalen Erfahrungen konstruktiv nutzen für mehr Inklusion und Beteiligung in unseren Prozessen und unseren Inszenierungen?
Anfang Mai stellten wir uns die Frage, wie wir Zuschauer*innen unter Pandemiebedingungen eine sinnliche Theatererfahrung zugänglich machen können. In diesem Zusammenhang schienen uns Videowalks geeignet. Videowalks werden in der Regel in einem Take aufgenommen, nicht geschnitten und filmen einen Weg. Der/die jeweils Zuschauende orientiert sich über das Video im (öffentlichen) Raum. Spielsequenzen können dabei aufgenommen und in eine erzählte Geschichte eingebunden werden. Die Zuschauenden können beim Ablaufen des Weges den konkreten, analogen Raum als künstlerisch verfremdet wahrnehmen, gleichzeitig können während der Präsentation analoge performative Sequenzen und ggf. Begegnungen mit den Performer*innen unter Abstandsregeln eingebunden werden. So wäre ein Bedürfnis nach Kontakt und Austausch, was während der Pandemie oft zu kurz kam, beantwortet. (Auch mit Jugendlichen ist das einfach umsetzbar, die Videos können mit dem Smartphone gedreht werden.)
Unter dem Einfluss der Kontaktbeschränkung suchten wir nach einer Verknüpfung, wie wir Videowalks dezentral organisieren können. Inzwischen gibt es erste konkrete Überlegungen für collagierte Stadtführungen und Austauschprojekte, in denen Videowalks eingebunden werden könnten. Hier wurde der Blick geöffnet für die Möglichkeit dezentraler Inszenierungen, in denen mögliche Beteiligte an anderen Orten mitgedacht wurden.
Erprobt haben wir Ende Oktober Formen der hybriden Zusammenarbeit. Eine Gruppe war analog im Arbeitsraum, die andere Gruppe per Zoom zugeschaltet. Unser Fokus dieses Versuchs lag dabei auf einer gleichberechtigten Zusammenarbeit in der performativen Arbeit. Die Bedürfnisse der Gruppen waren sehr unterschiedlich, das musste zunächst sondiert werden. Für die technische Umsetzung nutzten wir zwei Laptops, einen Beamer, eine Kamera mit Weitwinkel und eine Konferenzspinne für die Tonübertragung. Die Teilnehmenden wurden ermutigt, eigene Ideen und Konzepte mit der Technik auszuprobieren, dabei konnten sie zusätzlich ihre mitgebrachten Geräte einsetzen.
Choreografische Experimente, in denen die performenden Körper der Online-Gruppe auf die Performer*innen im analogen Raum projiziert wurden überraschten uns mit ihrer berührenden Wirkung.
Ein weiteres Setting ließ die Online-Gruppe das Bühnenbild über Zeichnungen, Einblenden von Bildern und Musik sowie stimmlichen Auftritten als „Siri“ die analoge Spielszene steuern und beeinflussen. Die hybriden Möglichkeiten werden wir vertiefend erforschen.
Weiterhin beschäftigen uns unsere Rezeptionserfahrungen beim Theater im Netz, dabei haben wir uns auf LiveVeranstaltungen fokussiert, also Inszenierungen, bei denen wir zu einem gleichen Zeitpunkt gemeinsam in einem (digitalen) Raum sind und die Darstellenden live agieren.7Wir besprachen werther-live.de, Familiodrom von Interrobang, Revolution (Masterprojekt der UdK), Gametheater von MachinaEx
Die Inszenierungen, an denen wir teilnahmen, untersuchten wir auf Zugänglichkeit, gemeinschaftliches Erleben, Verbundenheit, Partizipation, Agieren auf Augenhöhe undder Dialog mit dem Publikum.
Netztheater ist nicht neu, seit 2013 veranstaltet die Heinrich Böll Stiftung gemeinsam mit nachtkritik.de die Konferenz „Theater und Netz“.
Friedrich Kirschner spricht von „noch ausstehenden sozialen Verhandlungen der Floskeln, Rollen und Situationen, die vor dem Beginn der eigentlichen Aufführung die Erlebnissicherheit unserer Theatererfahrung prägen.“ 8Teilhabe als Notwendigkeit: Theater als Raum pluraler Gemeinschaften. Friedrich Kirschner. In: Netztheater. Positionen, Praxis, Produktionen. Bd 14 der Schriftenreihe Bildung und Kultur. Hrsg. Von der Heinrich Böll Stiftung und nachtkritik.de, 2020
Für uns stellt sich die Frage, wie wir Formate entwickeln, die einfach zugänglich sind und sich nicht ausschließlich an digital Natives wenden.
Theaterpädagogik und Digitalität bietet viele Ansatzpunkte, uns mit unserem theaterpädagogischen Selbstverständnis auseinanderzusetzen. Es war ein herausforderndes, lebendiges und reiches Jahr. Hilfreich war, sich nicht auf die Suche nach einem Substitut für Theatererfahrung im Sinne leiblicher Kopräsenz zu machen, sondern den Raum als gemeinsam Unwissende zu betreten und nach Möglichkeiten und Reibungsflächen zu suchen. Uns dabei als Expert*innen zu verstehen, die es gelernt haben, mit Begrenzungen umzugehen.
Wir haben Möglichkeiten entdeckt, die wir auch nach der Pandemie nutzen möchten.
Wie werden wir diese Erfahrungen in unsere Curricula einbeziehen? Sicher werden wir das diskutieren. Die Erforschung der methodisch-didaktischen Herangehensweisen im digitalen Raum unter Einbeziehung der Teilnehmenden stehen für mich, neben der Entdeckung neuer künstlerischer Praktiken, im Fokus.
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Die Seite Schul.Theater lädt alle am Schultheater interessierten Menschen ein, sich über Grenzen hinweg zu inspirieren und zu informieren, zu verbinden und im Forum in den Austausch zu kommen.
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