studierte Soziale Arbeit (B.A.) sowie Theaterpädagogik (M.A., BuT®) und arbeitet als Theaterpädagogin am Mecklenburgischen Staatstheater.
studierte Soziale Arbeit (B.A.) sowie Theaterpädagogik (M.A., BuT®) und arbeitet als Theaterpädagogin am Mecklenburgischen Staatstheater.
Bis zum März 2020 haben theaterpädagogische Formate hauptsächlich noch mit allen Beteiligten an einem Ort stattgefunden. Die Kontaktbeschränkungen haben diese Praxis herausgefordert. Viel wurde in den digitalen Raum verlagert. Schnell vernetzten sich Theaterpädagog*innen, um sich darüber auszutauschen, wie Theaterpädagogik online funktioniert. So gründete z.B. die Theater- und Spielberatung Baden-Württemberg die Facebook-Gruppe Theatervermittlung digital-Austausch, Ideen+Beiträge für Theater-AGs u.a.
In dem Projekt „Du, der Computer und ich“ habe ich mit Expert*innen aus den Bereichen Theaterpädagogik, Sozialarbeit, Puppenspiel und Medienanthropologie dazu experimentiert, was eine theaterpädagogische Praxis online bedeutet. Wir sind von Gruppen ausgegangen, deren Mitglieder sich gleichzeitig auf Videokonferenz-Plattformen online treffen. Die Beobachtungen wurden systematisch erfasst und qualitativ ausgewertet. Zum einen haben wir theaterpädagogische Spielprinzipien unter den Bedingungen der Programme erprobt. Zum anderen haben wir uns mit den Möglichkeiten der Programme und Tools auseinandergesetzt. Daraus sind z.T. neue Spielansätze entstanden. In die Untersuchung wurden außerdem Beobachtungen aus dem Kinder-Theaterprojekt Wunderlabor eingebunden, dass ich zeitgleich wöchentlich über Zoom durchgeführt habe. So entstand eine Spiele- und Übungssammlung, die u.a. über die Homepage der Hochschule für Musik und Theater Rostock veröffentlicht wurde[i].
Im Folgenden werden die Ergebnisse in einem praxisorientierten Kontext beschrieben und anschließend mit theoretischen Überlegungen verknüpft. Dafür werden verschiedene Dimensionen in den Blick genommen. Je nach Perspektive kann ein Umstand als Begrenzung oder als Möglichkeit einer theaterpädagogischen Praxis interpretiert werden, woraus sich wiederum Fragen an die Praxis ergeben.
Die Veränderungen durch eine andere Räumlichkeit stechen besonders hervor: Einige Praktiken, die ihrer Anlage nach vom analogen Raum ausgehen, lassen sich auf Videokonferenzen nicht übertragen. Im analogen Raum stellt sich etwa eine Anordnung durch die räumliche Orientierung her, wie z. B. durch die Personenaufstellung im Kreis (wie bei zahlreichen Impulsspielen). Einige Programme ermöglichen inzwischen das Anordnen der Kacheln. Dennoch kann es von Vorteil sein, am Anfang eines Meetings eine Personenreihenfolge mitzuteilen. Diese kann an den entsprechenden Stellen im Verlauf des Meetings immer wieder zum Einsatz kommen.
Durch die Kamera wird ein intimer Blick in das private Umfeld gewährt. Für die Spieler*innen wird der private Raum zum Probenraum. Hereinkommende Geschwister sorgen bspw. für unvorhergesehene Störungen. Dabei stellt sich die Frage, wie unter diesen Bedingungen ein geschützter Raum gewährleistet werden kann. Dass im Frühjahr 2020 zahlreiche Trolle unerwartet in Meetings auftauchten, führte immerhin dazu, dass die Sicherheitseinstellungen der Videokonferenz-Plattformen erweitert wurden. Besonders für die Gefahr sexueller Übergriffe sensibilisiert etwa der Verein Selbstlaut[ii].
Ein weiteres Ergebnis der Beobachtungen war, dass das Medium und die vorliegenden technischen Bedingungen die Möglichkeiten zum Spielen beeinflussen. Beispielsweise bietet Zoom Spielanreize, etwa durch die bewusste Verwendung des Kamera-Sichtfelds oder die Funktion virtuelle Hintergründe. Es werden auf diese Weise Dinge möglich, die analog nicht oder nur sehr aufwändig möglich wären. Die Spieler*innen können darüber bestimmen, was von ihnen gesehen werden soll und was nicht. Sie können sich zeitgleich unterschiedlich inszenieren, indem sie ihre von der Kamera eingefangene Umgebung gestalten oder virtuelle Hintergründe verwenden.
Zudem ergibt sich eine besondere Perspektive durch den Bildschirm. Wenn es darum geht, Bewegungen miteinander zu synchronisieren (z. B. beim Spiegeln), erleichtert der Blick auf den Bildschirm das Abgleichen der eigenen Bewegungen mit denen der anderen Spieler*innen. So verteilt sich die Selbstwahrnehmung auf zwei Ebenen, nämlich den eigenen Körper und dessen Abbild auf dem Bildschirm. Die Frage ist, wie eine theaterpädagogische Praxis es hier schaffen kann, die sinnliche Ebene zu erweitern und dabei die real vorhandene Körperlichkeit, ihr Abbild, und schließlich den Bildschirm selbst bewusst einzubeziehen. Denn: Onlinekommunikation ist nicht körperlos. Dass der Körper als eine Grundvoraussetzung für Kommunikation nicht wegzudenken ist, hält Frank Bonzcek (2010, 47)[iii] in Bezug auf das Forschungsprojekt „prieL – praxisintegrierende elektronische Lernbasis“ fest, innerhalb dessen er 2005–2008 an theatraler Onlinekommunikation geforscht hat.
Eine digitale theaterpädagogische Praxis führt Spieler*innen ortsübergreifend zusammen. Im Tutorial Wie funktioniert partizipatives Theater im Netz und was sind seine Tools? (Akademie Theater.Digital 2020)[iv], das innerhalb des Theatertreffens der Berliner Festspiele 2019 aufgenommen wurde, hält Caspar Weimann fest, dass die Zuschauer*innen bei digitalem Theater eine größere Freiheit darin haben, wie sie an einer Aufführung teilnehmen, was sie z. B. währenddessen tun (ebd., Min. 10:02). Das muss auch in Bezug auf Teilnehmer*innen theaterpädagogischer Formate betrachtet werden. Beispielsweise können sie mehrere Fenster am PC öffnen und ihre Aufmerksamkeit aufteilen. Dies ermöglicht ihnen eine höhere Selbstbestimmung. Wenn allerdings Nähe oder Fokussierung aus pädagogischen Gründen nötig wäre, kommt die Spielleitung an Grenzen, weil sie nicht physisch Einfluss nehmen kann.
So wie die physische Einflussnahme begrenzt ist, ergeben sich aber auch neue Räume, miteinander in Kontakt zu treten. Kathrin Tiedemann, Irina-Simona Barca und Katja Grawinkel-Claasen vom Forum Freies Theater (FFT) Düsseldorf heben hervor, dass durch digitale Theaterformate Wissenshierarchien zwischen den Generation fragil werden und einen gleichberechtigten Generationenaustausch ermöglichen könnten (Barca et al 2020, 6 f.)[v].
Durch die Pandemie wurde ein digitales Labor für die theaterpädagogische Praxis eröffnet. Doch was bleibt, falls wir im Sommer wieder mit mehreren Menschen in einem analogen Raum proben können? Ist Theaterpädagogik online nur die Notlösung? Das wäre bedauerlich, ist doch durch die Suche nach neuen Formen eine bundesweite und globale Vernetzung entstanden. Zudem ist unser Alltag auch ohne Pandemie längst digital durchdrungen. Eine Verbindung digitaler und analoger Ansätze ist für die Zukunft unabdingbar und eine Trennung nicht mehr möglich. Dass Offenheit und Reflexion für eine digitale theaterpädagogische Praxis über die pandemischen Zeiten hinaus Bestand haben, ist deshalb mehr als wünschenswert.
[i] THEATERPÄDAGOGIK ONLINE. Du, der Computer und ich. Eine Sammlung theaterpädagogischer online Spiele und Übungen [PDF]. Abrufbar unter: bit.ly/2WZRQN1 (Eingesehen am 07.01.2020)
[ii] Der österreichische Verein Selbstlaut hat einen Leitfaden zum Umgang bei sexuellen Übergriffen im Netz veröffentlicht: Selbstlaut. Sexuelle Übergriffe in Online-Gesprächen und Videokonferenzen. Abrufbar unter: https://selbstlaut.org/corona/sexuelle-uebergriffe-in-onlinekonferenzen/ (Eingesehen am 07.01.2020)
[iii] Bonczek, Frank (2010): Virtuelle Stolpersteine – ein theaterpädagogischer Blick auf die Kommunikationsschwellen virtueller Räume. In: Bonczek, Frank (Hg.) Theatralität Online! Positionen für eine theatrale online-Interaktionspädagogik. Milow: Schibri Verlag, S. 17–61.
[iv] Akademie Theater.Digital: #TT_Tutorials: Wie funktioniert partizipatives Theater im Netz und was sind seine Tools? [Online Video]. Hochgeladen am 25. Mai 2020. Abrufbar unter: https://vimeo.com/422353485 (Eingesehen am: 07.01.2021)
[v] Barca, Irina-Simona/Grawinkel-Claasen, Katja/Tiedemann, Kathrin (2020): Das Theater der Digital Natives. Beobachtungen und Erkundungen am FFT Düsseldorf [PDF]. Veröffentlicht am 10.5.2020.
Abrufbar unter: https://fft-duesseldorf.de/wp-content/uploads/2020/05/FFT_Das-Theater-der-Digital-Natives_final.pdf (Eingesehen am 07.01.2021)
Titelfoto: Ronja Kindler; Avatar-Foto: Lars Schulz
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