Caspar Weimann
Als in den 00er Jahren die ersten Plattformen entstanden, die sich später zu Social-Media-Plattformen entwickelt haben, wurden wir als Internetnutzer*innen nicht mehr nur Konsument*innen von Inhalten, sondern auch Produzent*innen dieser Inhalte. Auf diesen Plattformen stellen wir etwas dar, inszenieren uns selbst und kämpfen publikumsbewusst um Deutungshoheiten. Alle Plattformen des Sozialen Internets sind daher im Kern theatrale Orte unseres digitalen Miteinanders. Besonders einflussreiche Spieler*innen auf diesen Bühnen sind rechte Netzwerke und rechtspopulistische Parteien. Sie haben die Funktionsweisen digitaler Bühnen bereits vor Jahren verstanden und für sich nutzbar gemacht:
Durch Fake News-Kampagnen, den Einsatz von Sockenpuppen, fehlerhafte Kontextualisierungen sowie die Etablierung neuer Begriffe nutzen sie die Funktionsweisen von Filterblasen und Algorithmen, um den gesamtgesellschaftlichen Diskurs über Themen wie Diversität und Feminismus auf Sozialen Plattformen zu verschieben. Mit ihrer Ästhetik und Rhetorik versuchen rechte Influencer*innen, extremistische sowie demokratiefeindliche Inhalte als unauffällige Meinungsäußerungen zu tarnen und letztendlich eine rassistische Politik durchzusetzen. Dafür finden sie auf Sozialen Netzwerken den perfekten Nährboden, weil dort verkürzende, emotionalisierende Inhalte von Algorithmen besonders gepusht werden.
Das Theater als gesellschaftliche Utopienküche, als Stätte der Emanzipation und als Institution der Wirklichkeitsgestaltung muss diesem Trend dringend entgegenwirken und sich als antirassistischer Gegenpol etablieren.
Inspiration dafür geben bereits zahlreiche Projekte, die mit theatralen Erzählweisen, Ästhetiken, mit partizipativen Elementen und mit emotionaler Tiefe antirassistische Arbeit im Internet leisten. Ein paar dieser finden Sie hier:
„Eva Stories“ ist eine digitale Form des Gedenkens an den Holocaust. In zahlreichen aufwendig produzierten Stories auf Instagram verfolgt man die Geschichte des ungarischen Mädchens Eva, das im Vernichtungslager Auschwitz ermordet wurde. Seine Geschichte verfolgt man in einem fiktiven Rahmen: Was wäre, wenn das Teenager-Mädchen damals Instagram gehabt hätte?
Bei „Was ihr nicht seht“ handelt es sich um einen Instagramaccount, der in regelmäßigen Abständen Rassismuserfahrungen von Schwarzen und migrantisch gelesenen Menschen in Deutschland eine Bühne gibt.
„Loulu“ ist eine interaktive Fiktion über rechte und antifeministische Netzwerke im Internet. Man kann sie sich kostenlos als Spiele-App für das Smartphone herunterladen. Sie wirkt als Immunisierung gegen rechte und antifeministische Codes auf Sozialen Netzwerken.
Link: https://onlinetheater.live/project/loulu
(Transparenzhinweis: Der Autor dieses Textes war maßgeblich an der Spieleentwicklung beteiligt)
„Reconquista Internet“ ist ein antirassistischer Discord-Server, der politisch aktivistische Arbeit in Kommentarspalten auf Facebook und Twitter leistet. Ausgerufen wurde die Bewegung vom NEO Magazin Royale.
Link zum Info-Video: www.youtube.com/watch?v=fAYjSLtz6wQ
„Kein Raum für Rechts“ ist eine interaktive Erlebniswelt über den Lifestyle von Neonazis. Besucher*innen der Website können in diesem Raum neonazistische Symbole, Kleidung, Musik und Artefakte erforschen.
Initiator des Internettheaters onlinetheater.live und der digitalen Klimakunstkonferenz #ClimArtCon, Dozent für Schauspiel an der ADK Baden-Württemberg, Seminar- und Wokshopleiter zu digitalen Theaterformaten und partizipativem Theater im Netz, langjährige Zusammenarbeit mit der Bühne für Menschenrechte, aktives Mitglied des local service, Leitung zahlreicher theaterpädagogischer Projekte, Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater Rostock.