Fokus 2024 - Leben

Figur.Leben.Strategie

TEIL 1

WOYZECK


MUSTER BEWEGUNG im Raum


AUFWÄRMEN
Begrüßung, den Namen des Gegenübers nennen/ einbauen in Dialoganfänge.
Hey, hallo. Hallo. Ja. Hi. Hi.
Hey. Hey. Toll was! Ja. Jaja. Ich meine ja nur!


BLASE
Blase um einen herum, Augen zu, Gedanken erweitern in alle Richtungen des Raumes. Augen auf, losgehen und mit der gedachten Blase den Raum erkunden. Sich Raum nehmen, die Blase zwischen die Hände nehmen und die Blasen sich begegnen lassen...


STRATEGIE KAFKA: GEFANGEN IM SYSTEM SEINES HAUSES
Bewegung: Treppenhaus, Treppen, enge Flure, Türen, die sich öffnen. Gänge/ Haltungen/ Wände mitdenken/ Macken.


DAS UNBEKANNTE MUSIK  --- SYMBIOSIS von SCUBA
2 Gruppen mit gegenseitigem Beobachten

Imaginierte Situationen: 

a) In greifbarer Nähe liegt vor uns die herausfordernde Gefahr, wir wollen sie herausfordern. Wir wagen uns vor, weichen wieder zurück, wir locken, wir werden unruhig, taktieren, wir suchen Deckung, wir warten ab, wir suchen Kontakt mit den anderen, wir bilden kurz eine Einheit, dann sind wir wieder allein.

b) Menschen schleppen zu einem Unbekannten Ort in der Ferne ihre Habseligkeiten. Große öde Fläche, verschieden Tempi, Körperhöhen.








UNAUSWEICHBAR LEBEN Woyzeck 

6 Gruppen a 4/5


1 GETRIEBENHEIT

WOYZECK 

Wie's heraufzieht! Fort! Fort! Als wär' die Welt tot.

GRUPPE / HAUPTMANN + ARZT
Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern!
Er macht mich ganz schwindlig.
Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus!
Rennen Sie nicht so! Rudern Sie mir Ihrem Stock nicht so in der Luft!
Sie hetzen sich ja hinter dem Tod drein.
Ein guter Mensch geht nicht so schnell.
Langsam, hübsch langsam die Straße hinunter!
Er läuft ja wie ein offnes Rasiermesser durch die Welt, man schneidt sich an Ihm;
Er läuft, als hätt er ein Regiment Kastrierte zu rasieren.





2 UNTERWÜFIGKEIT

WOYZECK
Jawohl, Herr Hauptmann. Wir haben schönes Wetter Herr Hauptmann. Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm; Herr Hauptmann ja und nein Herr Hauptmann. Ich hab sonst nichts auf der Welt Herr Hauptmann, wenn Sie Spaß machen – Herr Hauptmann, die Erde ist höllenheiß.
Was wollen Sie sagen Herr Hauptmann?
Sehn Sie, Herr Hauptmann, wir gemeinen Leute haben keine Tugend. Guten Tag, Herr Hauptmann! Was wollen Sie sagen Herr Hauptmann?





3 VOR DER TAT
Marie und Woyzeck

M1: Was ist?
W1: Marie, wir wollen gehn. Es ist Zeit.
M2: Wohin?
W2: Weiß ich's? Gehen wir zum Teich!
M3: Also dort hinten ist die Stadt. 's is finster.
W3: Du sollst noch bleiben. Komm, setz dich!
M4: Aber ich muss fort.
W4: Du wirst dir die Füße noch wund laufen.
W5: Weißt du wie lange es jetzt ist, Marie?
M5: Um Pfingsten zwei Jahre.
W6: Weißt du auch, wie lange es noch sein wird?
M6: Ich muss jetzt fort.
W7: Was du für heiße Lippen hast! Heißer Hurenatem!
M7: Was sagst du da?
W8: Und doch möcht' ich den Himmel geben, sie noch einmal zu küssen. –
M8: Wie der Mond da rot aufgeht!
W9: Wie ein blutig Eisen.
M9: Was hast du vor, Franz, du bist so blass.

4 WAHNSINN

WOYZECK (der von seinen inneren Dämonen heimgesucht wird). Über der Stadt ist alles Glut! Ein Feuer fährt um den Himmel und ein Getöse herunter wie Posaunen.

DÄMONEN / STIMMEN
Woyzeck, Woyzeck!
Stich, stich die Marie tot.
Stich sie tot, tot!
Rot! Blut!
Blut? Blut?
Uui – schön viel Blut!
Puh, das stinkt schon!
Ein echter Mord.
Ein guter Mord.
Ein schöner Mord.

WOYZECK: Etwas, was wir nicht fassen, begreifen, was uns von Sinnen bringt. Es wird so dunkel; man meint, man wär' blind. Ich halt's nit aus; es schauert mich!

4 TOD (AUSSENSICHT)
Gruppe sieht Woyzeck am Wasser.

Halt! Hörst du?
Still! Dort!
Da! Was ein Ton!
Es ist das Wasser, es ruft:
Schon lang ist niemand mehr ertrunken.
Fort! Es ist nicht gut, es zu hören!
Jetzt wieder! – Wie ein Mensch, der stirbt!
Es ist unheimlich!
So dunstig, allenthalben Nebelgrau –
und das Summen der Käfer wie gesprungene Glocken.
Fort!
Nein. zu deutlich, zu laut!
Da hinauf! Kommt mit!

5 NACH DER TAT (INNENSICHT)
Woyzeck will das Messer, mit dem er Marie ermordet hat im Teich versenken.

WOYZECK
Das Messer, das Messer!
Hab' ich's?

So! So, da hinunter ins Wasser! –
Nein, es liegt zu weit vorn, wenn sie sich baden. ––
So, jetzt –
aber im Sommer, wenn sie tauchen nach Muscheln? –
Bah, es wird rostig, wer kann's erkennen. –
Hätt' ich es zerbrochen! – –
Bin ich noch blutig?
Ich muss mich waschen.
Da ein Fleck, und da noch einer ...



Teil 2

STRATEGIE
ALTERSPHASEN

Geteilte Gruppe / Spieler - ZUSCHAUER
3x alt/ 3x mittelalt/ 3x Teenager / 3x Kinder

Vorübung:
Lebensfragen aus der Sicht des Alters/ eigener Erfahrung/ Einschätzung beantworten.
Themen: Träume/Wünsche, Glück, Geld, Arbeit, Schule/Lernen, Liebe


TSCHECHOW: IVANOV / DREI SCHWESTERN / MÖVE

AUFWÄRMEN: DAS GEWIMMEL MUSIK
In einer kleinen engen Welt herrscht Gewimmel und Getümmel, ungeduldig will man der/ die Erste sein. Die anderen zählen nicht, sind unwichtig.


LEBENSFRAGEN DER FIGUREN / HEISSER STUHL
4 Kreise Schulter an Schulter stehen, zunächst ist eine Person außen, stellt die Frage, bis sie eine Antwort hat. Die befragten Personen geben freigewählte ausgedachte Antworten. Die Person, die geantwortet hat, stellt die nächste Frage.
z.B.
Glauben Sie, Sie sind besser als andere?
Was gefällt dir nicht?

Aufgabe:
Ich widerspreche Ihrem Lebensentwurf!

Bieten Sie dieser Person eine positive Lebensperspektive/ Idee/ Ausweg. Bauen Sie eine Situation/ Szene, wo diese Person (auch durch mehrere Spieler*innen spricht und andere ihr antworten. Sie können auch körperlich agieren, es müssen nicht Argumente sein. Interpretieren Sie die Szene nach ihrer Methode und Bedarf. BERFREIUNG DER FIGUREN DURCH DAS SPIEL / PERSPEKTIVWECHSEL/ ÜBERTREIBUNG/ WIDERSPRUCH, DIE TEXTE KÖNNEN ZERLEGT, NEU GEORDNET, positiv/negativ gewendet werden.

OLGA 1
Nur ich... ich bin alt und verbraucht, diese schrecklichen Kinder jeden Tag... machen mich krank, ich geh kaputt. Ich hab solche Kopfschmerzen! Jeden Tag von morgens bis abends das Geschrei auf dem Schulhof, keiner will zuhören, alle fragen immer das gleiche, immer wieder, keiner kapiert irgendwas, egal, wie oft du es ihnen erklärst, ich kann nicht mehr. Die Nachhilfestunden abends... furchtbar. Lehrer ist so ein sinnloser, stumpfsinniger Beruf, jeden Tag spüre ich, wie ganz allmählich mein Leben aus mir herausfließt und ich alt und kraftlos werde, ohne Freude und ohne... nur eine Sehnsucht wird immer stärker… aber eine Lehrerin in meinem Alter – wer will so was schon heiraten?


WERSCHININ 1
Ja. Man wird uns vergessen. Das ist unser Schicksal, da kann man nichts machen. Was wird man überhaupt von unserer Zeit heute erinnern? Was? Vielleicht wird nichts Bestand haben, gar nichts. Vielleicht wird man unsere Art zu leben später einmal als ein großes Verbrechen empfinden. Als eine schreckliche Leere, hoffnungslos, ohne Liebe. Vielleicht wird unsere Vorstellung von Glück, vom Zusammenleben, die Kriege, die wir führen, als Irrtum, als Fehler im Denken der Menschheit angesehen werden, als eine Verirrung, die von den Generationen, die nach uns kommen, korrigiert werden wird.


TSCHEBUTYKIN 1
Mein Gott... alle glauben, ich bin Arzt und kann ihnen helfen. (Lacht, leise) Hilfe, hilfe... aber ich weiß absolut nichts mehr, ich habe alles vergessen, alles, ich kann mich an nichts mehr erinnern, an absolut nichts. Mein Gott... Letzten Mittwoch habe ich einer Patientin falsche Tabletten verabreicht, und sie ist gestorben. Ich bin schuld, dass sie gestorben ist, hab überhaupt nicht auf die Verpackung geguckt, ihr einfach irgendwas mitgegeben, ich hab doch überhaupt keine Ahnung, mein Gott, tja... vor 25 Jahren habe ich noch irgendwas gewusst, aber jetzt – keinen blassen Schimmer mehr. Keine Ahnung... das Hirn ist leer, das Herz ist kalt, ich erfriere, aber das merkt keiner, keiner! Vielleicht bin ich gar kein Mensch, und es sieht nur so aus, als hätte ich Arme und Beine... einen Kopf, ein Herz, eine Seele.


TSCHEBUTYKIN 2
Die Leute, die heute leben, sind alles jämmerliche Versager, Waschlappen, Menschen ohne Vision, ohne Energie, sitzen rum und verschwenden ihr Leben. (Er steht auf) Schauen Sie mich an, was für ein Versager ich bin. Ich habe in meinem ganzen Leben nichts geleistet, nichts, ich bin eine Null, ich schleppe mich mit letzter Kraft durchs Leben, alt, hässlich, verbraucht, ohne Liebe... natürlich muss man mir dann einreden, dass mein Leben groß ist, aber was ist groß daran, was? Ich sehe nur Menschen, die scheitern und unglücklich sind. Was ist daran groß? Was ist an unserem Leben heute, verdammt noch mal, groß? Was?


IRINA
Diese Menschen dort auf dem Amt. Schrecklich. Den ganzen Tag sitzen sie da rum, ziehen irgendwelche Nummern, warten auf den Gängen, füllen irgendwelche Formulare aus, hoffen, dass sie Arbeit finden, aber... es gibt ja keine Arbeit, gibt es einfach nicht, und wenn, dann nur welche, die niemand machen will... Dieses Amt macht mich fertig. In dieser Gegend gibt es keine sinnvolle Arbeit, hier gibt es einfach nichts, und die Leute weigern sich, wegzuziehen und woanders nach sinnvoller Arbeit zu suchen, die bleiben alle hier.


ANDREJ 1
Morgen ist mein freier Tag, aber ich gehe trotzdem hin... sitz am Schreibtisch, blättere in irgendwelchen Akten, völlig sinnlos... aber zuhause halte ich es nicht aus. Wie seltsam sich das Leben verändert, wie es sich vor unseren Augen auflöst, alle Konturen verliert... ich verstehe nichts mehr, nichts, und ich kann nichts dagegen tun. Warum ist das so? Warum? - Ich muss endlich mit irgendwem reden, aber meine Frau versteht mich nicht, und vor meinen Schwestern habe ich Angst – die würden mich nur auslachen, mich demütigen...


ANDREJ 2
Meine Frau ist meine Frau, was soll ich da sagen? Sie ist jung und hübsch und, jaja, doch, sie ist eine gute Ehefrau, aber im Grunde ist sie völlig primitiv, wie ein kleines, dummes Tier. Ein Mensch ist das jedenfalls nicht, ja, liegt da jede Nacht neben mir, und ich höre sie atmen oder schaue ihr zu, wie sie schläft, sie ist so vulgär, so einfach, so... ich weiß nicht, warum ich sie geheiratet habe, jede Nacht liege ich wach, schaue sie an und verstehe nicht, wie ich einmal in sie verliebt gewesen sein konnte, ich verstehe es nicht, alles weg, alles.


MASCHA
An meinen Mann habe ich mich mittlerweile gewöhnt, aber alle anderen Männer hier in dieser Gegend... diese Menschen hier sind so leer und ungebildet, alle so zurückgeblieben und... hässlich, nur die Natur ist schön, aber die interessiert mich nicht sonderlich, ich will hier weg, ja... ich bin für dieses Landleben nicht gemacht. ... ich sterbe, ich sterbe hier langsam vor mich hin, aber... ich komme nicht weg... ...ich existiere nicht, und das hier, das alles hier, gibt es gar nicht, nichts davon, nichts. Nichts existiert, nichts lebt, niemand denkt, nichts fühlt, nichts fühlt nichts lebt nichts ist nichts nichtet ich nicht nichts nicht…

Inhaltsverzeichnis

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