Der Sandmann
Literaturstück nach der Erzählung von E.T.A. Hoffmann
Der Sandmann
Grundkurs 12 Darstellendes Spiel, Eichenschule Scheeßel, Niedersachsen
Vielleicht ist “Literaturtheater” die erste Assoziation im Blick auf die Sandmann-Produktion aus Niedersachsen, die beim SDL 2024 gezeigt wurde. Tatsächlich hielt sich das Geschehen weitgehend an die Handlung der Vorlage, die in einem Briefroman von den Problemen des erwachsenen Nathanael erzählt, der durch die Gruselgeschichte vom Sandmann in seiner Kindheit verschreckt und in diesem Zusammenhang dem Tod seines Vaters unter mysteriösen Umständen verängstigt wird. Seine dadurch ausgelösten traumatischen Erfahrungen wird er bis ins Erwachsenenalter nicht los, was zu Angstzuständen bei der Begegnung mit einem Brillenmacher und zu Problemen bei in seiner Beziehung führt. Obwohl das Stück Literatur von E.T.A. Hoffmann inzwischen einige Jahrhunderte auf dem Buckel hat und der Stoff gerne als Schullektüre im romantischen Rahmen gelesen wird, kommt das Stück vergleichsweise oft auf Schulbühnen zur Aufführung. Das mag zunächst an den Horrorelementen liegen, die bei richtiger Lektüre nicht zu übersehen sind oder an der psychologischen Grundanlage in der Anlage der Handlung. Wegen beiden Zugängen und der Art und Weise, wie die Inszenierung damit umging, blieb die Aufführung nicht unumstritten. Denn Horroreffekte und hoch emotionales Spiel bereiteten der Gruppe sichtbar Vergnügen und verfehlten auch ihre angsteinflößende Wirkung bei manchen Teilen des Publikums nicht.
Diese ansonsten als personales Spiel in durchgetauschten Rollen angelegte Produktion passte in dieser konventionellen Form gut auf die große Bühne des Bremer Theaters, auf den der Spielplan des Festivals sie gesetzt hatte. Deren Mittel und Räume konnten weitgehend wirkungsvoll genutzt werden. Das betrifft die Behandlung von Licht und Ton ebenso wie die Großprojektionen für das Bühnenbild oder die Nutzung der großen Spielfläche. Lediglich das ein oder andere Bühnenmobiliar, das wohl von der heimischen Schülerbühne mitgebracht worden war, wirkte etwas verloren.
Mit Betreten des Saals empfingen die Zuschauer dumpfe Töne und Herzschlaggeräusche. Das Saallicht stand auf düster, das Bühnenlicht auf Blendung. Eine aus dem Off eingespielte Triggerwarnung deutete noch die Schockmomente an, dann ertönte live gesungen das Kinderlied vom Sandmann. Ein stark stilisierter Walzertanz mit weiblichen Figuren im angedeuteten Reifrock versetzte den Zuschauer in eine frühere, gemütliche Zeit. Nicht lange: Schon schwirrten schwarze Maskengestalten über die Bühne und vertrieben die männlichen Tänzer und die weiblichen verfielen in zuckend unkontrollierte Bewegungen.
Der große Vorhang schloss sich. Am Bühnenrand der Vorbühne steht eine Sitzbank, aus deren Innern von Frauen die alten Briefe eines Nathanael geholt werden, die den bekannten Novellenanfang von E.T.A. Hoffmann erzählen. Zum vorgelesenen Text eines Treffens zwischen Nathanael und seinem Freund Sigmund spielt sich der fliegende Händler Coppelius in die Szene, ein schwarzes, teufelartiges Wesen im Verhalten, und als Doppelspielerfigur bewegt wie eine Schlange.
Dann findet die Aufführung zu einer gewissen Chronologie. Der Vorhang öffnet sich wieder. Das Gespräch einer Familie beim Abendessen wirft die Frage nach dem “Sandmann” auf. Die Erzählung von der Figur, die Kinder unter Angst um ihre Augen zum Schlafen bringen soll, erschreckt den jungen Nathanael – im Spiel erscheinen wieder die Maskenfiguren und bedrängen ihn. - Kurze Zeit später kommt ein Bekannter des Vaters zu Besuch, Coppelius, vor dem die Kinder am Tisch Angst haben, und kaum hat sich das Kind zu Bett gelegt, fordern die Maskenwesen seine Augen und toben mit schrillen Schreien und zu lauter Musik nicht nur auf der Bühne, sondern auch durchs Publikum, was dort Kreischen und Aufschreien auslöst.
Beim nächsten Besuch von Coppelius kommt der Vater um, wofür sich die Gruppe in der Form für ein Schattenspiel und heftigen Stroboskopeinsatz entschieden hat.
Ruhigere Dialogszenen, in denen die Verlobte von Nathanael, Klara, versucht, mit rationalen, teils psychologischen Erklärungen seine Angst zu deuten, folgen. Währenddessen irritiert die Erscheinung einer Olympiapuppenfigur im oberen Seitenbühnenraum (die nicht von allen Zuschauenden zu sehen ist) immer wieder Nathanael. Dennoch kommt es zur Hochzeit mit Klara. Sie erscheint dort als Maskenfigur in der Wahrnehmung Nathanaels. Bald tritt wieder der angsteinflößende fliegende Händler mit einem Pulk der Maskengestalten auf und verkauft Nathanael ein Fernglas.
Dann rückt Nathanaels besessene Verliebtheit in die Puppe Olympia in den Mittelpunkt und treibt Klara in die Verzweiflung. Erst als Coppelius Olympia die künstlichen Augen entfernt, kommt Nathanael durch einen Wutanfall zur Besinnung. Trotz eines beruhigenden Treffens mit Klara ist Nathanaels Sturz von einem Turm nicht aufzuhalten. Die Maskenwesen tragen ihn von der Bühne. From now on – far away – ein Song rundet die Aufführung ab.
Schultheater.Leben, das Thema des SDL blieb in dieser Aufführung Literatur. Außer dem erkennbaren Faible für Schreck- und Schockmomente orientierte sich Handlung und Form an der Novelle von E.T.A. Hoffmann.










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Fokus 2024 - Leben
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Musik und Theater Rostock im Studiengang Lehramt Theater, Studiengangsleiterin des Weiterbildungsmasters „Theater unterrichten“
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