Fokus 2024 - Leben

Märchen

Collage aus Kernelementen von vier bekannten Märchen, serviert als Choreographien mit teils abrupten, teils überraschenden Wendungen ins Aktuelle.

Märchen

Darstellendes Spiel Q2, Arndt-Gymnasium Berlin

Sicher sind Märchen im Schultheater eines der am häufigsten gewählten Genres. Motive für diese Entscheidungen sind dabei sicher die erinnerten Begegnungen mit den Stoffen und den Assoziationen damit zu Kindheit und Familiensituationen. Mehr oder weniger opulente Filmwerke stehen aber dafür auch gelegentlich Pate. Diese Ausgangslage bindet zwar die Stoffe an die Jugendlichen zurück, führt aber zu der Problematik, wie damit auf der Bühne umzugehen ist? Die Adaption eines Films kämpft mit den Vorbildern, ein biografischer Zugang kann schnell zu nostalgischen Idealwelten führen.

Die Oberstufengruppe aus Berlin überging geflissentlich diese Entscheidungen und begnügte sich im Wesentlichen damit, vier Märchen mit Mitteln des choreographierenden Spiels in Szene zu setzen. Da sie dabei die Handlungen auf wesentliche Motive reduzierten, verließen sie sich darauf, dass das Publikum die Zusammenhänge des Geschehens irgendwie kennt.

Von Schneewittchen bleiben also der Wunsch der jungen Königin nach einem schönen Kind, die Eitelkeit der neuen Königin, das Zuhause bei den Zwergen, die Angriffe der Stiefmutter und der Tod Schneewittchens… Zu einer Begegnung mit dem Prinzen kommt es nicht, denn vorher beschließt Schneewittchen, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Schließlich hatten sich die Zwerge in toxischer Männlichkeit eine Haussklavin gewünscht, die sie zuletzt nicht vor den Angriffen schützen konnten.

Schneewittchen bleibt stets im Mittelpunkt des Geschehens, die Gruppe vertanzt Empfindungen, bildet innere Stimmen ab und verwandelt sich in Zwerge mit Hut, die ihrem Gast mitspielen und diesen dominieren, am Ende betrauern.

Rumpelstilzchen bildete den Hintergrund für eine zweite Szenenfolge im Wesentlichen aus zwei Szenen. Ein bedrohlicher König zwingt ein Mädchen Stroh zu Gold zu spinnen. Bucklige Gestalten machen das Unmögliche möglich. Goldfäden werden geworfen. Eine Frau mit einem Babypäckchen tritt auf. Da möchte der Bucklige das Kind haben. Und kaum hat die junge Frau den Namen des Buckligen erraten, ist auch diese Szenenfolge zu Ende.

Noch knapper erging es Rotjäckchen (!), die innerhalb kürzester Zeit von den “Wölfen”(!) hinter die Bühne gezerrt und wohl verspeist wurde, denn die “Wölfe” kommen blutverschmiert auf die Spielfläche zurück.

Zuletzt folgte noch Hänsel und Gretel. Eine Elterngruppe jammert über die fehlenden Vorräte und schiebt ihre Kinder in die Welt hinaus, die durch eine raumlaufende Gruppe angedeutet werden und angstvoll ins Schlottern und Rennen kommen. Rettung zeichnet sich ab, als die Kinder pantomimisch anfangen, Lebkuchen in sich hineinzustopfen, bis sie sich überfressen haben und sich übergeben müssen. Mit dem bekannten “Knusperknäuschen” und mit Stockschlägen tritt die Hexe auf, um dem Spiel mit den Worten “Wo ist mein Scheißhäuschen” ein überraschendes Ende zu setzen.

Natürlich sind Märchen Bestandteil jugendlicher Erfahrungen, natürlich verhandeln Märchen menschliche Grundgegebenheiten, auch Grausamkeiten, natürlich kann man sich mit den aus der Zeit gefallenen Rollenbildern, Handlungsklischees oder Unwirklichkeiten auseinandersetzen, also könnte man. Der Gruppe aus Berlin genügte es zu zeigen, dass sie über eine Reihe von Mitteln des Schultheaters mit großen Gruppen souverän verfügt und bekannte Stoffe verkürzen und mit flapsigen Pointen zu Ende bringen kann.

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Fotografin

Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Musik und Theater Rostock im Studiengang Lehramt Theater, Studiengangsleiterin des Weiterbildungsmasters „Theater unterrichten“

ina.driemel@hmt-rostock.de

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