Verwandlung - auch Kafka
Ein Stück über Verwandlung als Lebensphänomen, theatral verarbeitet nach Literatur, wie bei Kafka, aber auch ganz persönlich, religiös oder philosophisch gesehen und performt.
Verwandlung – auch Kafka
Mies-van-der-Rohe-Schule Aachen - rohestheater - Eckard Debour - Nordrhein-Westfalen
Schon mal etwas zum Thema Verwandlung über eine Suchmaschine im Internet gesucht? - Die ersten Ergebnisse sind im Wesentlichen Informationen zu Kafkas Novelle. Das lässt sich als Indiz lesen, wie sehr der Begriff im Deutschen mit einem literarischen Text verbunden ist, obwohl er eine menschliche Grunderfahrung repräsentiert.
Die auf dem SDL gezeigte Produktion unter dem Titel Verwandlung – auch Kafka repräsentierte sowohl die menschliche Grunderfahrung als auch die literarische, beides mit einem gut erkennbaren Bezug zu dem, was Schüler:innen der höheren Klassen interessieren mag. Das begann mit der Kostümierung in hautengen Lederbekleidungsteilen, übergestülpten Teilen von Autoreifen oder auf die Haut geschminkten Reifenspuren, die mit großem Selbstbewusstsein getragen wurden und als Anspielung auf das Insektendasein des Protagonisten bei Kafka gelesen werden konnten. So war ein Zeichen gesetzt, dass es in diesem Stück um beengende, irritierende und angsteinflößende Ausgangssituationen gehen könnte.
Dementsprechend wird zunächst einmal auf der Bühne über Wanzen und Spinnen verhandelt, bevor der Beginn der literarischen Erzählung als unter den Spieler:innen verteilter Text gesprochen und von Spieler:innen in zappelnder Rückenlage begleitet wurde.
Außer in Texten und oft choreografiertem oder geschickt arrangiertem Körperspiel bediente die Gruppe auch eine filmische Ebene, auf der durch verschiedenartige begleitende Projektionen das Geschehen meist illustrierend begleitet wurde. Animierte krabbelnde Spinnen, Kafkas bekannte Käferzeichnung oder an anderer Stelle ein Nazarener Bild mit einer Christusdarstellung zu sehen.
Stationen aus Kafkas Erzählung blieben der rote Faden: Konfrontationen mit dem Vorgesetzten und den Mitgliedern der Familie oder der Angriff mit Todesfolge auf das Tier gehörten dazu. Dabei kommt im Spiel besonders die Gefangenheit des Tieres durch den Rückzug eines einzelnen Spielers in einen in zweifacher Form auf der Bühne vorhandenen Glaskäfig zum Ausdruck.
Das Thema Verwandlung wird zudem in eingeschobenen Spielübungen, wie der pantomimischen Darstellung von Sprichwörtern und Redewendungen, in denen Tiere vorkommen, sichtbar. Märchen, wie Froschkönig oder Sterntaler werden ebenso aufgegriffen wie die Fabel von der Integration eines schwarzen Schafes in die Herde der weißen oder eine satirische Replik auf das Wandlungsverständnis in der katholischen Kirche.
Ruhepunkte in einer sonst sehr bewegten und lauten Aufführung stellen die sehr persönlich gehaltenen Wandlungsgeschichten einzelner Schüler:innen dar. Dabei stehen sie exponiert im Spot hinter einer aufgestellten personenhohen Glasscheibe. Sie sprechen darüber, wie der Angriff Russlands auf die Ukraine ihr Leben verändert hat, über ihr Outing und was sich für sie durch das Theaterspiel gewandelt hat. In einer anderen Erfahrung geht es um Fragen, die sich in der Entwicklung der eigenen Frauenrolle stellen.
Zum Abschluss des Stücks dominiert die Fantasie. Was passiert, wenn sich das Insekt in Gregor Samsa verwandelt mit offenem Ausgang.
Die Produktion aus Nordrhein-Westfalen ist ein reiches Netz aus theatralen Mitteln, das durch die Kafka-Geschichte zusammengehalten wird, wobei von den bewegungschoreografischen Elementen, dem Musikeinsatz oder den live gespielten Instrumentalstücken noch keine Rede war. Nicht zuletzt dies zeigt, dass sich in diesem Stück das Leben der Spielenden in ihren Fähigkeiten, ihren Interessen und ihren Schicksalen besonders klar abbildet.



Inhaltsverzeichnis
Fokus 2024 - Leben
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Musik und Theater Rostock im Studiengang Lehramt Theater, Studiengangsleiterin des Weiterbildungsmasters „Theater unterrichten“
Redaktionsleitung
Position