Wenn ich ein Held wär und noch zwei Flügel hätt ...
Verspieltes Theaterstück über den Wunsch, ein Superheld zu sein und die Erkenntnis, dass es auf ganz etwas Anderes ankommt.
Wenn ich ein Held wär‘ und noch zwei Flügel hätt‘…
Theater AG des Jahrgang 5/6, Freie Gesamtschule UniverSaale Jena, Thüringen
Einmal in die Rolle einer:s Superheld:in schlüpfen und alles wäre leicht(er)? Dass dem nicht so ist, davon erzählt die Produktion aus Thüringen, in der sechs weiblich gelesene Spielerinnen der Frage nachgehen, ob es eigentlich Superkräfte benötigt, um im Leben glücklich zu sein. Und hierfür benötigt es gar nicht viel Bühnenzauber, sondern nur ein Mikro und eine gespannte Wäscheleine, an der Kostümteile und Requisiten hängen, die im Laufe der Inszenierung bespielt werden.
Doch zunächst zum Anfang: Die sechs Spielerinnen betreten, ausgestattet mit Stirnlampen, die dunkle Bühne und schauen sich suchend im Raum um. Da aber kein Superheld in Sicht ist, geben sie die Suche auf und die Spielerinnen treten nacheinander ans Mikro und erzählen davon, welche Superkraft sie gerne hätten, wie beispielsweise die Zeit anhalten zu können. Und so ginge es: Einfach schnipsen und niemand kann sich mehr bewegen und man kann alles machen, was man will. Eine andere stellt sich vor, sie könne fliegen, um dann schneller zu Hause zu sein oder, wie es wäre, beim Laufen so schnell wie ein Blitz sein zu können und alle würden jubeln. Dabei werden die Erzählungen von den anderen Akteurinnen spielerisch untermalt, indem sie eine entsprechende Pose oder Bewegung machen.
Aus diesen biografischen Erzählungen heraus formieren sich die Spielerinnen zum Chor und geben eine Definition dessen, was einen Superhelden ausmacht. Hierzu gehört natürlich auch ein entsprechendes Outfit. Im Folgenden sehen wir den Spielerinnen dabei zu, wie sie buchstäblich in die Rollen von starken Superheld:innen schlüpfen, indem sie Superheld:innen-Kostüme anziehen. Wer kennt es nicht, das berühmte Dress von Spiderman oder Superwoman? Begleitend werden die Superheld:innen – und was diese auszeichnet – einzeln vorgestellt. Auch hier werden die Erzählpassagen von Spielaktionen im Hintergrund begleitet. Allerdings will die Helden-Performance nicht so recht gelingen, wie eine Spielerin, die den Hulk mimt, nach einer Weile resignierend feststellt: Während bei Spiderman der Reißverschluss klemmt, scheitert Hulk an den Gewichten, Spiderman verheddert sich in seinen Fäden und Flash braucht zwei Minuten für zehn Meter. Schließlich entspinnt sich ein kleiner Disput unter den Held:innen darüber, ob es nur mehr Training bräuchte, die Kräfte sich erst ausbilden müssten!? Also geht es weiter mit dem Probieren bis zum nächsten Einwand, der da lautet: „Entweder man ist ein Superheld oder nicht und wir sind es eben nicht. […] wir sollen Superhelden spielen, aber kriegen es nicht hin […] Aber irgendwas müssen wir ja spielen“. An dieser Stelle treten die Spielerinnen hinter ihre Figuren zurück, wird das Theater als Theater ausgestellt, indem aufgezeigt wird, dass hier im wahrsten Sinne gespielt wird. Aber die Theatermaschinerie muss weiterlaufen, also werden erneut Superheld:innen-Posen eingenommen, begleitet von Musik, die an einen Marvel-Soundtrack erinnert. Aber alles Wollen nützt nichts, auf der Bühne nicht und auch nicht im wahren Leben.
Dass auch der Alltag von jungen Menschen oft so gar nicht heldenhaft anmutet, davon erzählen die Spielerinnen im Folgenden. Im Umgang mit den biografischen Geschichten weist die Inszenierung sehr kluge Handgriffe auf. So erzählt beispielsweise eine Spielerin im Flash-Kostüm ihre Geschichte aus der Perspektive der Figur über sich als Hannah, die an einem Laufwettbewerb teilnimmt und von ihren Fans Flash genannt wird. Währenddessen machen die anderen im Hintergrund vorbereitende Dehnübungen für den großen Lauf. Schließlich tritt Superman ans Mikro, der Hannah anspornt, gleich einem Trainer, der an der Seitenlinie steht. Das Publikum erfährt schließlich, dass Hannah den Staffelstab bei der Übergabe fallen lässt, was von Spiderman sogleich negativ kommentiert wird – auch hier scheint die Stimme des enttäuschten Trainers auf. Erneut tritt die Spielerin im Flash-Kostüm ans Mikro, die nun in der Ich-Form davon erzählt, wie es sich anfühlt, zur Heldin stilisiert zu werden, weil sie die Schnellste im Training ist, und davon, wie schwer es ist, den Erwartungen und dem Druck ausgesetzt zu sein. Hier mischen sich Heldengeschichten mit biografischen Erzählungen, wechseln Darstellungsebenen zwischen Figurenspiel und Selbst-Darstellung einander ab.
Es sind ganz unterschiedliche Geschichten, die auf der Bühne erzählt werden und die die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten aufzeigen, beispielsweise wenn eine Spielerin von ihren Klassismus-Erfahrungen erzählt oder eine andere von der Krankheit ihrer Mutter. Dabei findet sich in jeder Erzählung eine Form der Stilisierung wieder, sei es, dass Gefühle in einem Gedicht oder auf einem Transparent ihren Ausdruck finden. Bezeichnend sind zudem die spielerischen Aktionen im Hintergrund, die auch hier die Erzählungen bildhaft werden lassen. Beispielsweise erzählt eine Spielerin von ihrem durchgetakteten Tagesablauf, währenddessen blasen die anderen Spielerinnen im Hintergrund Luftballons auf. Sobald sie loslassen, ist die Luft wieder raus. Ein Sinnbild für das, wie sich die Spielerin am Ende des Tages wohlfühlen mag. Gegen Ende wird das Superheld:innen-Dress schließlich wieder abgestreift, die heldenhafte Maskerade im Zuge einer Bewegungschoreografie abgelegt und die Stirnlampen wieder aufgesetzt. Hier schlägt die Inszenierung einen Bogen zurück zum Anfang, allerdings ist die Bühne nun nicht mehr leer, sondern die Spieler:innen begeben sich in eine Materialschlacht: Sie zerreißen alles, was es zu zerstören gibt. Sie setzen dem heldenhaften Spiel ein Ende, steigen aus. All dies wirkt durchaus selbstermächtigend. Schließlich gehen sie von der Bühne ab, setzen sich ins Publikum und das Licht der Stirnlampen fällt auf die Bühne. Das Bild, das sich dem Publikum am Ende bietet, ist Unordnung und Chaos. Und vielleicht ist es genau das, was das Leben von jungen Menschen ausmacht oder wie es sich doch häufig auch anfühlt, chaotisch und unaufgeräumt.










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Fokus 2024 - Leben
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Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Musik und Theater Rostock im Studiengang Lehramt Theater, Studiengangsleiterin des Weiterbildungsmasters „Theater unterrichten“
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