von Ina Driemel, Lukas Günther, Michael Aust
An dieser Stelle möchte die Erkundung gesellschaftlicher Rollen den Fokus auf die Rollen der Spielenden als Schüler:innen lenken. Es ist im Prinzip banal, dass jedes der gezeigten Stücke, soweit es die Schüler:innen als Mitwirkende an der Spielentwicklung ernst nimmt, auch ein Ausdruck dessen ist, was Schülern in ihrer Lebenswelt an Rollen abverlangt wird. Nicht zuletzt ist die Selbstpräsentation jedes und jeder einzelnen in der Schauspielerrolle und der daraus entwickelten Figur eine von ihnen verlangte Rolle.
Auf diesen Umstand machte in Teilabschnitten die Collage Rollmops aufmerksam, während sich hinter dem Titel Rolle und Status aus dem Saarland ebenso eine Auseinandersetzung mit Fragen der Freundschaft verbarg, wie in dem oben bereits erwähnten Nicht wie ihr! aus Berlin.
Rollmops von der Stadtteilschule Eiderstedt Hamburg, das vor allem von rollenden Lauf- und Drehbewegungen mit Hula-Hoop-Reifen, Bällen, Rollkoffern und Ähnlichem lebte, artikulierte in den Statements Einzelner unter anderem Sprachspielereien, in denen rollen als Wortbestandteil oder auch als Nonsens-Aussage vorkam. (s. auch unter Rollen) An anderer Stelle zählten verschiedene Spielende ohne weitere Problematisierung Rollen auf, die Schüler:innen spielen und spielen müssen, wie Geschwisterrollen, Schülerrollen, Charakterrollen oder Theaterrollen. Konsequent gipfelte die rollende Show in einer Einladung ans Publikum, auf der Bühne mitzutanzen, nachdem festgestellt worden war, dass für alle gilt: Du bist eine Hauptrolle! Insgesamt lebte die Produktion vom Spiel mit der Oberfläche des Wortes Rolle in seinen verschiedensten Facetten und brachte auf diese Weise auch Schülerrollen zur Sprache.
Rolle und Status von der Pallotti-Schule – Förderschule Klasse 6–7 Neunkirchen (Saarland) setzte interessanterweise auch mit rollenden Bewegungen der Arme ein, wechselte dann zu Hulla-Hoop-Reifen, Bällen, Rollern oder Skateboards, mit denen sich die Spieler:innen zu Oldiemusik über die Bühne bewegten.
Erst dann kam das eigentliche Thema des Stückes zur Sprache, das verhandelt werden sollte: Freundschaft und was sie ausmacht. Dies wurde zunächst mit einfachen Feststellungen, die auch auf folierten Plakaten zu lesen waren, formuliert.
Daraus entwickelte sich eine einfache Spielhandlung. In einem originellen Solo-Dialog tauschten sich zwei von einem Jungen gespielte Schüler darüber aus, mit welchem Besitz und welchen Anschaffungen sie den und die anderen übertrumpfen wollten. Die Prahlerei führt zum Neid und zur Eifersucht der anderen Spieler der nur aus wenigen Schüler:innen bestehenden Spielgruppe, sodass die Entfremdung, selbst oder gerade nachdem sich der Reichtum als Angeberei entlarvt hatte, keine Annäherung zulässt. Im Gegenteil, es kommt zur offenen Ablehnung und zur Ausgrenzung des Angebers. Erst der Fund eines hochwertigen Handys durch eine Mitspielerin und die Rückgabe an den abgelehnten reichen Besitzer aus Anstand führt zu einer Annäherung und zur Versöhnung der Verfeindeten.
Der Titel des Stücks Rolle und Status deutet zwar eine theoretische Überlegung als Grundlage der Inszenierung an, aber szenisch und inhaltlich bleiben die Entwicklungen auf der Handlungsebene und dort einfach in der Darstellung. So sitzt der Abgelehnte gegen Ende des Stückes in einem Hulla-Hoop-Reifen mitten auf der Bühne und zur Andeutung der Versöhnung legen alle einen ihrer Reifen über ihn, nehmen ihn dann an den Händen und tanzen im Kreis. Letztendlich kommen alle zum Sitzen auf der Bühne und formulieren in gereimten Versen wiederum Aussagen über Freundschaft.
Das Thema Freundschaft ist selbstredend aus der Lebenswelt der Schüler gegriffen, denn ihre je eigene Lebenssituation stellt ihnen immer wieder Fragen dazu, die für sie nicht einfach zu beantworten sind. Im Allgemeinen erleben sie, dass Freundschaft in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielt und wie ihr Rollenverhalten Gelingen, Verlieren oder Scheitern beeinflusst, haben alle schon erlebt.
Unter dem Aspekt von Schülerwelten fragt die Produktion Nicht wie ihr! (Lisa-Tetzner-Schule Berlin), wie es zur Ablehnung zwischen verschiedenen Peer-Gruppen kommt und ob eine Lösung solcher Konflikte denkbar ist?
Die Unterstufenschüler wirken in ihrer Produktion inspiriert von Ronja Räubertochter, schälen sich doch aus zwei unterschiedlichen Gangs, deren Geschichte in einer Gewitternacht beginnt, ein Mädchen und ein Junge heraus, die einander im Lebensraum Wald näherkommen. Dabei kommt das Mädchen in Schafsfelljacke aus einer Gruppe von eher cool auftretenden Kindern, meist Jungen, und der Junge im Glitzerhemd aus einer Gruppe von überwiegend Mädchen, die in der Eröffnungsszene handtaschenschwingend in bunten Glitzerkostümen über die Bühne tänzeln.
Es ist wohl ihre Sympathie für den Wald, die den Jungen und das Mädchen zusammenführt. Gemeinsam bestehen sie gegen die unheimlichen Geister des Waldes, schreiben sich Briefe über ihre Lebenssituation oder träumen unter dem Sternenhimmel. Abgesehen von den äußerlichen Unterschieden in Kostüm und Auftreten vertragen sich die beiden Gruppen auch nicht, weil die Coolen den Wald zumüllen. Dem Paar schlägt von allen Seiten Ablehnung entgegen. Auch die Eltern, die selbst auch kräftig Müll herumwerfen, sehen diese Verbindung nicht gern und schimpfen die Kinder. Weil sich aber die Eltern entschuldigen, finden die beiden Gruppen zusammen, laufen gemeinsam durch den Wald, sprich: das Publikum, machen dort gemeinsam Entdeckungen und spielen am Ende zusammen mit dem Publikum: Die Chefin sagt …, wodurch die Handlung zu einem friedlichen Partyende führt.
Es genügt der Gruppe, ihre Geschichte brüchig in Szenen mit originellen Einzelmomenten zu erzählen und in kindlicher Spielweise und kindgemäßen Spielideen auf der Bühne zu präsentieren. Ihr Interesse an der Thematik zeigen sie durch die Auswahl des Stoffes und ihre erkennbare Teilnahme an der Spielentwicklung. Über das Zeigen von Zuständen kommen sie – vielleicht altersgemäß – nicht zu einem Hinterfragen dessen, was zwischen ihnen geschieht oder zu logisch nachvollziehbaren Übergängen zwischen Feindschaft und Freundschaft. Die Relevanz, die die Thematik für Kinder dieser Altersgruppe aber sicher hat, ist unbestritten.
Selbstverständlich sind ältere Schüler:innen erwartbar über diese einfache Form der Handlungspräsentation hinaus und reflektieren intensiver über sich und über ihre Erfahrungswelten. Ein Beispiel dafür ist die Collage Dreams von der Klasse 10 der Freien Gesamtschule UniverSaale Jena aus Thüringen, eine dem Mittelstufenalter der Schüler:innen entsprechende performative Auseinandersetzung mit Traumbildern, Träumen und ihren Deutungen und Bedeutungen.
Das Stück eröffnet seine Bilderfolge bei gedämpftem Licht mit Schüler:innen, die für längere Zeit schemenhaft auf dem Boden liegen und sich wie unruhig im Schlaf wälzen. Eine Spielerin erhebt sich und während sie im Lichtkegel einen Informationstext über das Verhältnis von Bewusstsein und Unterbewusstsein im Wachen und Schlafen vorträgt, kostümieren sich im dahinter liegenden Halbdunkel die anderen Darsteller:innen um und verwandeln sich in Traumgestalten bzw. eine Psychologin und den Spezialisten der Traumdeutung Sigmund Freud.
Ob es anschließend in den Auftritten um die Sehnsucht nach Stille, Angst vor dem Ertrinken, Furcht vor der Dunkelheit oder Lampenfieber geht, stets artikulieren hier die Schüler:innen in zwar wenig persönlichen, aber eigenen Texten ihre Erfahrungen mit der jeweiligen Traumerscheinung. Dabei erzählt die Kostümierung kraftvoll mit. Um die Sehnsucht nach Stille zu verdeutlichen, hat sich die auftretende Schülerin selbst in einen Karton verpackt und kann darin verschwinden, die Angst vor dem Ertrinken erscheint im Badedress, die Furcht vor der Dunkelheit mit Laterne und die Puppe in Barbie-Rosa bewegt sich in abgehakten Bewegungen. Für das Publikum ordnen die beiden an den Bühnenseiten platzierten Fachleute die Phänomene sachkundig ein und unterrichten gleichzeitig über Begleitphänomene des Träumens wie Paranoia oder REM-Phasen im Schlaf.
Trotz des belehrenden und informativen Grundgedankens bleibt die Aufführung stets ein Spiel, das von der individuellen schauspielerischen Gestaltung der Auftritte der Figuren und ihrer originellen Kostümierung lebt. Dies scheint nur möglich, weil hinter dem Dargestellten ein echtes Interesse und Nachdenken über Fragen nach den Träumen zu erkennen ist. Wer hätte sich diese nicht schon selbst gestellt und erfahren, dass letztgültige Auskünfte über dieses rätselhafte Phänomen kaum zu bekommen sind.