SCHUL.THEATER

Fokus

Projektbericht: Bayern – FeminisMuss

Ingund Schwarz

Eigen­pro­duk­ti­on 
Albert-Ein­stein-Gym­na­si­um Mün­chen
Bay­ern
Pro­fil­kurs Thea­ter und Film Q11/Q12
Mit­wir­ken­de: 13 Schü­le­rin­nen
Spiel­lei­tung: Ingund Schwarz

Rahmen

Schuljahr 2020–21

Der Thea­ter­kurs setz­te sich in der Ober­stu­fe aus zwei Jahr­gangs­stu­fen zusam­men; die Schü­le­rin­nen waren bereits thea­ter­er­fah­ren, da sie größ­ten­teils in der 5./6. Jgst. die Thea­ter­klas­se1: In Bay­ern wer­den Thea­ter­klas­sen im regu­lä­ren Unter­richt und im Klas­sen­ver­band in der Regel über einen Zeit­raum von zwei Jah­ren zwei Stun­den in der Woche im Fach Thea­ter unter­rich­tet. besucht hatten.

Das Stück ent­stand pan­de­mie­be­dingt in ana­lo­gen, hybri­den sowie digi­ta­len Unter­richts­stun­den. Ab Novem­ber 2022 fan­den die Pro­ben auf­grund der Home­schoo­ling-Situa­ti­on zuneh­mend digi­tal über das Kon­fe­renz­tool Zoom statt, so konn­ten früh­zei­tig ästhe­ti­sche und gestal­te­ri­sche Zugän­ge digi­tal aus­pro­biert wer­den. Es war zu die­sem Zeit­punkt bereits damit zu rech­nen, dass wie im Vor­jahr eine ana­lo­ge Auf­füh­rung nicht garan­tiert wer­den konnte.

Das Stück wur­de bei dem baye­ri­schen digi­ta­len Schul­thea­ter­fes­ti­val SPIEL-PLATZ_2.0 im Juni 2021 als Live-Per­for­mance auf­ge­führt sowie ein wei­te­res Mal für die Schul­ge­mein­schaft des Albert-Ein­stein-Gym­na­si­ums digi­tal gezeigt.

Der zeitliche Rahmen:

  • Wöchent­li­che Pro­ben à 90 Minu­ten von Sep­tem­ber bis Juni (ab Ende April ohne Q12 wegen Abitur, die drei Abitu­ri­en­tin­nen konn­ten den­noch bei den Auf­füh­run­gen dabei sein);
  • Inten­siv­pro­ben­wo­che vor den Oster­fe­ri­en Ende März mit Ein­zel­pro­ben in Grup­pen und Video­auf­zeich­nung in Zoom für Bewer­bungs­vi­deo SDL (Mo-Do jeweils am Abend 120 Minuten);
  • Ein Pro­ben­tag vor den Auf­füh­run­gen mit Tech­nik (Intro, Musik- und Film­ein­spie­lun­gen, Umfrage/Zuschauer*innen);
  • Vor dem SDL zwei Pro­ben à 5 Stun­den auf­grund ver­än­der­ter und zwei­er neu­er Sze­nen sowie einer erhöh­ten Zuschau­er­inter­ak­ti­on und ‑par­ti­zi­pa­ti­on.

Die Grup­pe for­mu­liert von Anfang an, ein gesell­schaft­lich rele­van­tes The­ma bear­bei­ten zu wollen.

Ers­te Annä­he­rung über den „Rage- Fra­ge­bo­gen“ des JDT Berlin.

Gesell­schaft­li­che Unge­rech­tig­kei­ten, die zu Pro­test auf­ru­fen, wer­den gesam­melt und über viel­fäl­ti­ge Gestal­tungs­auf­ga­ben wie z.B. Bewe­gung, Tanz, Cho­reo­gra­phien, Rhyth­mi­sie­rung, Ein­satz von Mas­ken, per­for­ma­ti­ve Hand­lun­gen ohne Text digi­tal wie ana­log erprobt. Von den Teilnehmer*innen ver­fass­te bio­gra­phi­sche Tex­te fokus­sie­ren ins­be­son­de­re die Rol­le der Frau in der Gesellschaft.

Aus­ge­hend von einem von einer Schü­le­rin ver­fass­ten Text wer­den in der Online-Prü­fung Sze­nen ent­wi­ckelt, die für die spä­te­re Insze­nie­rung wert­vol­le Ansät­ze bieten. 

Auf einem Pad­let wer­den von allen im Sin­ne einer Dra­ma­tur­gie­map­pe inter­es­san­te Tex­te, Medi­en und Zugän­ge zum The­ma gesammelt

Eine Zuord­nung zu The­men erfolgt nach Nei­gung, es bil­den sich Grup­pen von 2–3 Schü­le­rin­nen. In Break-Out Ses­si­ons wer­den Sze­nen ent­wi­ckelt, prä­sen­tiert, nach Feed­back durch die Grup­pe weiterbearbeitet.

Par­al­lel wer­den Sze­nen ent­wi­ckelt, in denen alle spie­len (Impul­se erfol­gen durch die Spiel­lei­tung, aber auch durch Ideen der Schülerinnen).

In einer wei­te­ren Recher­che­pha­se expe­ri­men­tie­ren die Schü­le­rin­nen mit Lip Sync, Tik­Tok­Vi­de­os und wei­te­ren film­äs­the­ti­schen Mit­teln. Die digi­ta­le Ein­bin­dung und Inter­ak­ti­on mit Zuschau­ern wird dis­ku­tiert und ausprobiert.

Die The­men­col­la­ge wird in eine für alle stim­mi­ge Rei­hen­fol­ge gebracht. Dabei ste­hen die Kom­po­si­ti­ons­prin­zi­pi­en Stei­ge­rung, Wie­der­ho­lung in Varia­ti­on und Kon­trast im Vordergrund.

Im Fein­schliff wer­den ins­be­son­de­re Kame­ra­ein­stel­lun­gen, Hin­ter­grün­de, Über­gän­ge reflek­tiert und bear­bei­tet, aber auch der Umgang mit Feh­lern und Pan­nen im digi­ta­len Raum.

Projektverlauf

Aus­ge­hend von der gleich zu Beginn for­mu­lier­ten Aus­sa­ge durch die Grup­pe, in kei­nem Fall auf einen lite­ra­ri­schen, dra­ma­ti­schen Text für eine Insze­nie­rung zurück­grei­fen zu wol­len, son­dern ein poli­tisch – gesell­schaft­lich rele­van­tes The­ma in den Fokus zu neh­men, wur­de von Anfang an im ana­lo­gen Prä­senz­un­ter­richt kör­per­lich und cho­reo­gra­phisch zum The­ma Pro­test gegen Unge­rech­tig­kei­ten gear­bei­tet. Über kur­ze indi­vi­du­ell ent­wi­ckel­te Mini-Cho­re­os und Stand­bil­der wur­den For­ma­tio­nen und rhyth­mi­sier­te per­for­ma­ti­ve Zugän­ge aus­pro­biert, die zunächst die Pro­test­hal­tung und ver­schie­de­ne Emo­tio­nen wie z.B. die der Wut in den Mit­tel­punkt stell­ten. Par­al­lel dazu fand eine indi­vi­du­el­le Aus­ein­an­der­set­zung über den Fra­ge­bo­gen „Rage“ statt (ent­wi­ckelt vom Jun­gen Deut­schen Thea­ter Berlin).

Aufgabe 

Füllt den Fra­ge­bo­gen aus und bringt ihn zur nächs­ten Thea­ter­pro­be mit. 

Da es auf­grund der Coro­na-Pan­de­mie kei­ne Gewiss­heit für einen fort­be­stehen­den Prä­senz­un­ter­richt gab, wur­den bereits zu Beginn des Schul­jah­res digi­ta­le Gestal­tungs­auf­ga­ben für zu Hau­se gestellt, um den Schü­le­rin­nen Sicher­heit im Umgang mit digi­ta­len Tools und vor allem film­äs­the­ti­sche und bild­ge­stalt­ne­ri­sche Her­an­ge­hens­wei­sen zu ver­mit­teln. Die Ergeb­nis­se wur­den in einem Kurs in Mebis (Lern­platt­form) gesam­melt, nach Abga­be gezeigt und es wur­de von allen zu Inhalt und Bild­ge­stal­tung Feed­back gegeben.

Fotostory – Sagen Sie jetzt nichts. 

Part­ner­auf­ga­be: Stellt euch gegen­sei­tig Fra­gen zum The­ma „Wut“ und gestal­tet dar­aus eine Foto­sto­ry nach dem Vor­bild „Sagen Sie jetzt nichts“ aus dem Maga­zin der Süd­deut­schen Zeitung. 

Video-Aufgabe 

Kis­sen­per­for­mance: Gestal­te zu Hau­se eine Per­for­mance mit einem Kis­sen und nimm die­se auf! Ach­te dabei auf inter­es­san­te Ein­stel­lungs­per­spek­ti­ven (z. B. Wech­sel von ganz nah zu weit weg) und über­le­ge, was du erzäh­len könn­test, z. B. eine klei­ne Geschich­te mit oder ohne Text; es kann aber auch ohne Nar­ra­ti­on per­formt wer­den, dann steht eine Abfol­ge von Bil­dern stär­ker im Vordergrund. 

In der Pha­se von Okto­ber bis Dezem­ber stand im Fokus, inter­es­san­te Ver­tie­fungs­aspek­te zum The­ma Protest/Wut zu fin­den. Es kris­tal­li­sier­ten sich in den Gesprächs­run­den u. a. fol­gen­de Aspek­te heraus:

  • Gewalt
  • Sexis­mus
  • Unge­wöhn­li­che „Pro­test­men­schen“
  • Was wäre ein Leben ohne Protest?
  • For­men künst­le­ri­schen Protests

 

Über bio­gra­phi­sches Schrei­ben mit­tels The­men­vor­ga­ben aus der Schreib­werk­statt von Mai­ke Plath (Beltz 2014) setz­ten sich die Schü­le­rin­nen zuneh­mend mit sich selbst, ihren Hal­tun­gen zur Gesell­schaft, ihrer Iden­ti­tät, ihren Geschlech­ter­rol­len aus­ein­an­der. Die geschrie­be­nen Tex­te wur­den in den Thea­ter­pro­ben anony­mi­siert vor­ge­le­sen und inter­es­san­te Aspek­te dar­aus dis­ku­tiert. Es wur­de klar, dass ins­be­son­de­re digi­ta­le Medi­en Geschlech­ter­rol­len nicht nur abbil­den, son­dern auch mani­pu­la­tiv beein­flus­sen. Die Geschlech­ter­the­ma­tik wur­de für die Grup­pe zuneh­mend inter­es­sant. Grup­pen­zu­ge­hö­rig­kei­ten in Gen­der­rol­len wur­den über Wir­kungs­wei­sen von Kos­tüm und Out­fit mit­tels thea­tra­ler und per­for­ma­ti­ver Gestal­tungs­auf­ga­ben aus­pro­biert und reflek­tiert (Aus­gangs­punkt dazu war die fol­gen­de Aufgabe).

Aufgabe: Protest – Gruppe – Individuum 

Brin­ge in die nächs­te Pro­be ver­schie­de­ne Out­fits aus dei­nem Klei­der­schrank mit: Eines, was zeigt, wer du bist und das dich zeigt, wie du dich ger­ne siehst; eines, das du als grup­pen­kon­form bezeich­nen wür­dest, und noch zusätz­lich dein indi­vi­du­el­les Protestoutfit! 

Aufgabe: Biographische Texte verfassen 

Suche dir von den vor­lie­gen­den Kar­ten ein The­ma her­aus und schrei­be einen frei­en Text dazu! 

Ich ver­spü­re das Gefühl der Ohn­macht zu oft. Ich habe es gespürt, als sie gesagt hat, ich darf nie wie­der nach Hau­se kom­men. Als sie nicht gegan­gen ist. Als sie mich drei­mal ins Gesicht geschla­gen hat. Als wir an der Trep­pe stan­den. Ich ver­ste­cke mich vor dir. Ich zucke, kann nicht atmen, mich nicht wirk­lich bewe­gen und nicht den­ken. Ich habe sehr lan­ge gedacht, dass ich zu den­ken fähig bin. Dass ich Kom­pe­ten­zen habe, dass ich Fähig­kei­ten habe. Aber mit jedem Ohn­machts­ge­fühl sind sie mehr ver­schwun­den. Anfangs konn­te ich danach noch ein­fach den lau­tes­ten Song, den ich in mei­ner Play­list fand, anma­chen und konn­te von dem schreck­li­chen Gefühl hei­len. Aber beim nächs­ten Mal wur­de es schwie­ri­ger. Und das Ohn­machts­ge­fühl kommt wie­der. Es kommt immer wie­der. Ich den­ke, ich schaf­fe es, alles wird bes­ser, aber die­ses uto­pi­sche Bild, wel­ches ich mir oft aus­ge­malt habe, ist zer­ris­sen wor­den, ist zer­stört wor­den. Ich soll eine Geschich­te erzäh­len aus mei­nem Leben, als ich ein­mal einer Auto­ri­tät ohn­mäch­tig aus­ge­lie­fert war. Aber wie soll ich erklä­ren, dass ich die­ses Gefühl schon ver­spü­re, wenn mei­ne Mathe­leh­re­rin schreit, weil ein paar Leu­te zu spät zum Unter­richt erschei­nen? Ich erin­ne­re mich. Mein Kopf ist nicht mehr klar. Ich habe plötz­lich alle mei­ne Kom­pe­ten­zen ver­lo­ren. Ich spü­re das­sel­be wie­der und wie­der, das ich immer emp­fin­de, wenn ich das Gefühl der Ohn­macht erle­be. Ich ver­lie­re mich. Ich ver­ges­se alles: wer ich bin, was ich mache, wie ich reagie­ren kann. Ich spü­re das, was ich gespürt habe, als sie in mei­nem Zim­mer stand und geschrien hat. Ich saß in der Ecke mei­nes Zim­mers gekau­ert. Und sie hat nicht auf­ge­hört. Egal wie sehr ich gefleht habe. Ich begin­ne zu fal­len. In ein tie­fes Loch vol­ler Unsi­cher­hei­ten und Angst. Die Leh­re­rin macht wei­ter. Sie erklärt mitt­ler­wei­le die Ablei­tung bei einem gebro­che­nen Term. Aber ich bin noch nicht im Mathe­un­ter­richt. In mei­nem Kopf höre ich wei­ter ihre Stim­me. Ich ver­su­che zu rea­li­sie­ren, dass ich mich in mei­nem Klas­sen­zim­mer befin­de und alles okay ist. Aber die Stim­me der Leh­re­rin ist zu laut. Sie ist so laut wie ihre Stim­me. Das Gefühl der abso­lu­ten Ver­zweif­lung in mir brei­tet sich immer mehr aus. Ich will raus hier. Ich ver­su­che mich auf den Unter­richt zu kon­zen­trie­ren. Ich komm aber nicht mal mehr dar­auf, wie ich hei­ße. Ich seh nicht mehr rich­tig, was in der Klas­se pas­siert. Ich bin ganz woan­ders. Ich lau­fe gera­de ohne Schu­he durch mei­ne Stra­ße mit­ten in der Nacht und schla­fe in mei­nem Fahr­rad­kel­ler. Ich fal­le immer immer wei­ter. Ich bin wert­los und schreck­lich und kom­plett kaputt. Ich zucke zusam­men. Das Gefühl ist da. Ich füh­le mich aus­ge­lie­fert. Ich atme aus und zäh­le die Sekun­den bis der Unter­richt been­det ist, um mich von der Taub­heit, das das Gefühl in mir aus­löst, abzulenken

Wo gibt es in der Welt Län­der, in denen aus mei­ner Sicht Geset­ze herr­schen, die nicht gerecht sind?

„Eine Frau hat zwei Lebens­fra­gen: Was soll ich anzie­hen? Und was soll ich kochen? Und das Aller­wich­tigs­te für den Mann ist der Pud­ding …“ besagt eine Wer­bung von Dr. Oet­ker. Jetzt denkt man wahr­schein­lich, das muss ewig her sein, da eine sol­che Denk­wei­se über­haupt undenk­bar ist. Jedoch ist die­ser Wer­be­clip vor gar nicht mal 70 Jah­ren ver­öf­fent­licht wor­den und zwar 1954. Erst 1958 war es Frau­en erlaubt, erwerbs­tä­tig zu sein, jedoch auch nur solan­ge dies mit dem Haus­halt ver­ein­bar war. Die „voll­stän­di­ge“ Gleich­be­rech­ti­gung der Füh­rung des Haus­halts und der Erwerbs­tä­tig­keit wur­de wie­der erst 20 Jah­re spä­ter (1977) ein­ge­führt. Der Weg zur Gleich­be­rech­ti­gung zwi­schen Mann und Frau war trotz­dem lan­ge noch nicht vollendet.

Wenn damals eine Frau eine Ver­ge­wal­ti­gung bei der Poli­zei mel­de­te, war die ers­te Fra­ge, ob dies von einem Frem­den oder dem Ehe­mann began­gen wur­de. Denn gera­de mal vor 23 Jah­ren trat das Gesetz, das Ver­ge­wal­ti­gun­gen in der Ehe zur Straf­tat mach­te, in Kraft.

Obwohl sich viel geän­dert hat, gibt es immer noch Unstim­mig­kei­ten in der The­ma­tik Femi­nis­mus. So hat eine Frau bei­spiels­wei­se nicht immer die voll­kom­me­ne Selbst­be­stim­mung über ihren Kör­per. In vie­len Län­dern die­ser Welt gibt es näm­lich das Abtrei­bungs­ver­bot. So ist auch in Deutsch­land ein Schwan­ger­schafts­ab­bruch nach § 218 im Straf­ge­setz­buch grund­sätz­lich rechts­wid­rig, bleibt aber kon­tro­vers­er­wei­se straf­frei. In Polen wur­de das Gesetz sogar vor kur­zem erst ver­schärft. So müs­sen Frau­en auch Kin­der aus­tra­gen, die kei­ne Über­le­bens­chan­cen nach der Geburt haben, anstatt wie davor die Abtrei­bung bei Lebens­ge­fahr für die Mut­ter bei Ver­ge­wal­ti­gung oder bei Fötus­schä­den erlaubt war.

Außer­dem gibt es vie­le wei­te­re frau­en­feind­li­che Geset­ze in ande­ren Tei­len die­ser Welt. So muss eine Frau im Sin­ga­pur oder Indi­en ihrem Ehe­mann zu ‚unein­ge­schränk­tem Geschlechts­ver­kehr‘ zur Ver­fü­gung stehen.

Als ich klein war, habe ich geträumt erwach­sen zu wer­den, wei­se zu sein, Bescheid zu wis­sen. Heu­te träu­me ich davon, ein Kind zu sein, das Leben genie­ßen zu kön­nen und frei zu sein. Mei­ne Zukunfts­träu­me von damals sind fast erreicht und jetzt will ich zurück, zurück zum wohl­be­hü­te­ten Zuhau­se, weg von der Rea­li­tät. Der Rea­li­tät, die über mir ein­zu­stür­zen droht und mich mit­reißt. Ich kämp­fe für eine Zukunft und ver­ges­se dabei mei­nen Traum.

Wel­cher Traum nochmal?

Was ist mein Zukunfts­traum? Was wür­de ich sein wol­len, wenn ich alles wer­den könn­te und wo wür­de ich hin­wol­len, wenn alles mög­lich wäre? Hät­te ich die glei­chen Wün­sche? Die glei­chen Ziele?

Frü­her habe ich mir oft gewünscht, dass das Leid der Welt ein Ende hat, dass jeder in Frie­den leben kann, nie­mand Hun­ger lei­den muss und nie­mand arm ist. Ziem­lich naiv, aber wäre es mög­lich? Könn­te es eine Welt geben, in der wir alle das sind, was wir sein wol­len? Alle glück­lich sind? Alle in Frie­den leben können?

Willst du es mit mir aus­pro­bie­ren? Könn­ten wir es gemein­sam schaffen?

Eine Welt, die jeden Traum erfül­len kann gibt es doch gar nicht. Oder doch?

Der Unter­richt wur­de ab Ende Okto­ber in hybri­den For­ma­ten durch­ge­führt, d. h. die Hälf­te der Grup­pe wur­de digi­tal zuge­schal­tet, konn­te sich in Gesprächs­run­den betei­li­gen, Feed­back geben und zu Hau­se eigen­stän­dig Gestaltungs‑, Schreib- oder media­le Auf­ga­ben bear­bei­ten. Für die Grup­pe zu Hau­se lag jeweils der Schwer­punkt im Unter­richt dar­auf, digi­ta­le Per­for­mance-Ansät­ze (z. B. das Spiel in und mit der Kachel) und film­äs­the­ti­sche Zugän­ge (Spiel mit Kame­ra­per­spek­ti­ven) zu ver­mit­teln und auszuprobieren.

Als wesent­lich für einen gut funk­tio­nie­ren­den Hybrid­un­ter­richt konn­te hier aus­ge­macht wer­den, dass inner­halb einer Dop­pel­stun­de nach einem gemein­sa­men Auf­wär­men gezielt zeit­li­che Frei­räu­me (Grup­pen­ar­beits­pha­se oder Ein­zel­ar­beit) gewährt wer­den müs­sen, damit die bei­den Teil­grup­pen einer­seits ana­log in der Schu­le, ande­rer­seits zu Hau­se in thea­tral gestal­te­ri­sches Arbei­ten kom­men und nicht die gan­ze Zeit pas­siv vor dem Bild­schirm sit­zen. Zu den meist am Ende der Stun­de ste­hen­den ana­lo­gen und digi­ta­len Mini-Prä­sen­ta­tio­nen von Arbeits­er­geb­nis­sen der Teil­grup­pen konn­te auch im hybri­den For­mat gut Feed­back gege­ben werden.

Die Ent­schei­dung für das The­ma Femi­nis­mus fiel Mit­te Dezem­ber, ande­re The­men wie Pro­test gegen Gewalt, feh­len­de Zivil­cou­ra­ge oder Rechts­ruck wur­den durch die unmit­tel­ba­re eige­ne Betrof­fen­heit der jun­gen Frau­en und die Bri­sanz des all­ge­gen­wär­ti­gen The­mas zur Stel­lung der Frau in der Gesell­schaft zurückgestellt.

Als dra­ma­tur­gi­sche Kern­fra­ge wur­de ent­wi­ckelt, wie wir als Frau­en in der Gesell­schaft mit vor­ge­schrie­be­nen Mus­tern und Rol­len umge­hen und uns dar­aus befrei­en kön­nen. Dabei ent­stan­den schon früh Ziel­for­mu­lie­run­gen. Es soll­ten femi­nis­ti­sche Vor­bil­der her­an­ge­zo­gen, es soll­te kei­nes­falls mora­li­siert wer­den und die Zuschau­er soll­ten soweit wie mög­lich durch Leer­stel­len in Text und Bild sowie durch Befra­gung und Par­ti­zi­pa­ti­on zur Refle­xi­on mit dem The­ma auf­ge­for­dert werden.

Ab Mit­te Dezem­ber fand der Unter­richt auf­grund des Lock­downs und der Rah­men­be­din­gun­gen an der Schu­le bis Anfang Mai nur noch in digi­ta­ler Form über Zoom statt. Auch die spiel­prak­ti­sche Prü­fung wur­de digi­tal durch­ge­führt. Die in der Prü­fung ent­wi­ckel­ten Sze­nen konn­ten spä­ter als Ideen- und Mate­ri­al­pool gewinn­brin­gend in die Insze­nie­rung ein­ge­bracht wer­den. Die ers­ten bei­den Stun­den, die digi­tal durch­ge­führt wur­den, hat­ten den Schwer­punkt, die Zoo­m­äs­the­tik zu erfor­schen und den Ein­satz der Kame­ra in viel­fäl­ti­ger Wei­se in Bezug auf Wir­kung und Spiel zu testen.

Aufgabe: Protest – Gruppe – Individuum 

Brin­ge in die nächs­te Pro­be ver­schie­de­ne Out­fits aus dei­nem Klei­der­schrank mit: Eines, was zeigt, wer du bist und das dich zeigt, wie du dich ger­ne siehst; eines, das du als grup­pen­kon­form bezeich­nen wür­dest, und noch zusätz­lich dein indi­vi­du­el­les Protestoutfit! 

Spielpraktische Prüfung – im online-Format

In der fol­gen­den Recher­che­pha­se stell­te sich die digi­ta­le Pinn­wand (Pad­let) durch die kol­la­bo­ra­ti­ven Mög­lich­kei­ten als beson­ders gewinn­brin­gend her­aus. Unter­the­men, Recher­che zu inter­es­san­ten Men­schen zum The­ma sowie ästhe­ti­sche Zugän­ge wur­den gesam­melt und zusam­men­ge­tra­gen, um dann Nei­gungs­grup­pen bil­den zu kön­nen, die sich mit je einem Schwer­punkt­the­ma für die Sze­n­en­ent­wi­ckung befassten.

Als für die Grup­pe inter­es­san­te Unter­the­men für die sze­ni­sche Bear­bei­tung wur­den aufgegriffen:

  • Frau­en und Alltag,
  • bekann­te Femi­nis­tin­nen (Mala­la You­saf­zai, Emma Wat­son, Hen­g­ameh Yagohoobifarah),
  • Rol­len in der Werbung,
  • Femi­zi­de,
  • sexu­el­le Gewalt,
  • Anti-Sexis­mus,
  • Defi­ni­tio­nen und State­ments zu Feminismus.

Für die Sze­n­en­ent­wick­lung in den Klein­grup­pen galt es nun, digi­tal-ästhe­ti­sche For­men zu fin­den, die die Inhal­te gut trans­por­tie­ren und das Ensem­ble-Spiel auch über die Kachel hin­weg glaub­wür­dig und authen­tisch machen. Ent­schei­dun­gen in Bezug auf den (vir­tu­el­len) Raum, die Ein­stel­lungs­grö­ßen der Kame­ra und die Bild­spra­che muss­ten getrof­fen wer­den. So wur­den bei­spiels­wei­se für Sze­nen, die in beson­de­rem Maße gesell­schaft­lich vor­ge­ge­be­ne Rol­len­bil­der zei­gen, pas­sen­de und aus­sa­ge­kräf­ti­ge vir­tu­el­le Hin­ter­grün­de gewählt, für pri­va­te Sze­nen, die die Spie­le­rin­nen in ihrer eige­nen Aus­ein­an­der­set­zung mit sich und der Frau­en­rol­le zeig­ten, hin­ge­gen ihre pri­va­ten Räu­me zu Hau­se. Durch Impro­vi­sa­ti­on und Aus­wahl von Tex­ten wur­den die Sze­nen ent­wi­ckelt und schließ­lich zu einer ers­ten ver­dich­te­ten Fas­sung zusam­men­ge­stellt. Dabei ent­schied die Grup­pe, die inne­re Ord­nung der The­men­col­la­ge durch wie­der­hol­tes vari­ie­ren­des Auf­grei­fen von Tex­ten und Bil­dern zu gestal­ten und ins­ge­samt eine inhalt­li­che Stei­ge­rung anzuvisieren.

Vor Auf­füh­rung im Juli erfolg­te noch eine Ver­tie­fungs­pha­se, in der digi­tal über die rei­ne Zoo­m­äs­the­tik hin­aus­ge­hend zum The­ma gear­bei­tet wur­de. Es wur­den von den Schü­le­rin­nen zu ver­schie­de­nen Aspek­ten und Tex­ten Tik­Tok-Vide­os mit Lip sync erstellt sowie Musik, Über­gän­ge und Abfol­ge der Sze­nen festgelegt.

Für die Auf­füh­rung selbst wur­de ins­be­son­de­re dis­ku­tiert und bespro­chen, wor­in Unter­schie­de im Live-Per­for­men oder Film-Abspie­len lie­gen und was ein digi­ta­les Thea­ter not­wen­di­ger­wei­se braucht, um die Auf­merk­sam­keit der Zuschau­er zu erhalten.

  • Inter­ak­ti­on und Partizipation,
  • ein sou­ve­rä­ner Umgang mit Feh­lern und Pan­nen, die auf­grund des digi­ta­len For­mats entstehen,
  • kei­ne Scheu vor der Sicht­bar­keit die­ser Pannen,
  • eine abwechs­lungs­rei­che und kurz­wei­li­ge Rei­hung sowie
  • unmit­tel­ba­res und authen­ti­sches Spiel


waren Fak­to­ren, die gemein­sam mit den Schü­le­rin­nen erar­bei­tet und fest­ge­stellt wur­den. Die Zuschau­er­an­mo­de­ra­ti­on und ‑ermun­te­rung, sich zu betei­li­gen, wur­den geprobt und tech­ni­sche Abläu­fe gefes­tigt und opti­miert. Für die Auf­füh­rung beim SDL wur­de zudem ein Insta­gram-Account gene­riert, um das The­ma Femi­nis­mus in der SDL-Woche noch über Social Media bei den Festivalteilnehmer*innen in den Fokus zu rücken und in den digi­ta­len Aus­tausch dazu zu kom­men. Hier wur­den täg­lich Bei­trä­ge, Sto­ries und Reels gepostet.

Probleme und Highlights

Wie in jedem Pro­zess inner­halb einer Pro­jekt­ar­beit kam es auch hier zu Moti­va­ti­onstiefs. In unse­rem Fall kam das Tief, nach­dem der ers­te Gesamt­ent­wurf des Stücks im Mai ent­wi­ckelt wor­den war, die Abitu­ri­en­tin­nen aus­fie­len und die nun wie­der erlaub­ten ana­lo­gen Pro­ben in Prä­senz wenig ergie­big waren, da eine Über­tra­gung des digi­ta­len For­mats zurück ins Ana­lo­ge nach eini­gem Aus­pro­bie­ren sich als wenig prak­ti­ka­bel erwies. Als dann die Pro­ben des­halb wie­der ins Digi­ta­le ver­legt wur­den, fehl­te der Grup­pe das gemein­sa­me leib­li­che Zusam­men­kom­men. Erst kurz vor der ers­ten Auf­füh­rung im Juli beim digi­ta­len baye­ri­schen Schul­thea­ter­fes­ti­val SPIEL-PLATZ_2.0 ging es, auch durch das Ent­wi­ckeln der Tik­Tok-Vide­os und der Ideen für die Zuschau­er­par­ti­zi­pa­ti­on, wie­der auf­wärts. Im Sep­tem­ber beim SDL gab es dann bereits eine leich­te Zoom-Müdig­keit bei allen, und die Par­ti­zi­pa­ti­ons­ideen über Zoom waren mit der SDL-Platt­form uner­war­te­ter­wei­se nicht rea­li­sier­bar, da zwar die Auf­füh­rung live über­tra­gen wur­de, nicht aber Zuschau­er in Zoom live dabei sein konn­ten, sodass sehr schnell auf das Tool Slido umges­witcht wer­den muss­te. Dies lös­te bei allen Stress aus, letzt­end­lich konn­ten wir mit­hil­fe unse­res Tech­ni­kers aber gut dar­auf reagieren.

Ins­ge­samt stell­te sich der Umgang mit film­äs­the­ti­schen Mit­teln wie Kame­ra­per­spek­ti­ven, Ein­stel­lungs­grö­ßen, Bild­auf­bau, Bild­spra­che und Licht­ein­satz als High­light her­aus. Es mach­te bei den Pro­ben viel Spaß, unter­schied­li­che Mög­lich­kei­ten der fil­mi­schen Arbeit aus­zu­pro­bie­ren, indem bei­spiels­wei­se auch mit mobi­len Gerä­ten wie Smart­phone oder Tablet gear­bei­tet wur­de. Beim geziel­ten Erstel­len der kur­zen Video­clips kam dies auch zum Tragen.

Ein wei­te­res High­light war der Ein­satz ver­schie­de­ner digi­ta­ler Apps, v. a. Pad­let für die Recher­che­ar­beit sowie Slido für die Zuschau­er­be­fra­gun­gen und die damit ein­her­ge­hen­den oft­mals not­wen­di­ger­wei­se impro­vi­sier­ten Spiel­hand­lun­gen der Spie­le­rin­nen. Hier­durch ent­stand ein hohes Maß an Spiel­si­cher­heit, fle­xi­bel reagie­ren zu kön­nen. Inter­ak­ti­on und Par­ti­zi­pa­ti­on konn­ten im digi­ta­len Raum gut in die Insze­nie­rung inte­griert und über die digi­ta­len Anwen­dun­gen in Insta­gram noch ver­stärkt werden.

Die Ent­wick­lung des Pro­jekts hat in jedem Fall Mut gemacht, (Schul-)Theater und Digi­ta­li­tät zusammenzubringen! 

Die digi­ta­len Ansät­ze, der Ein­satz digi­ta­ler Tools und Medi­en, die kol­la­bo­ra­ti­ven digi­ta­len Arbeits­wei­sen und die Ver­schrän­kung von ana­lo­gem mit digi­ta­lem Thea­ter haben uns in viel­fa­cher Wei­se dazu ermun­tert, dar­über nach­zu­den­ken, was digi­ta­le For­ma­te brau­chen und inwie­weit digi­ta­le Zugän­ge gewinn­brin­gend in ana­lo­ges Schul­thea­ter inte­griert und auch wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den können.

SDL- Mediathek 
Wir stel­len alle Auf­füh­run­gen des SDL in unse­rer Fes­ti­val­me­dia­thek bereit. Tickets kön­nen für 29,90 Euro (regu­lär), 19,90 Euro (Mit­glie­der BVTS / Ver­bän­de) oder 9,90 Euro (wenn du einen Gäs­te­pass gekauft hast) erwor­ben wer­den. Zah­le per Über­wei­sung oder Pay­pal und erhal­te sofort Zugriff auf alle unten auf­ge­führ­ten Mit­schnit­te. Das Pass­wort erhältst du, sobald dei­ne Zah­lung ein­ge­gan­gen ist (bei Pay­pal sofort!). 
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Ingund Schwarz 

Leh­re­rin am Albert-Ein­stein-Gym­na­si­um Mün­chen für Deutsch, Sport, Thea­ter und Film; Refe­ren­tin für Qua­li­fi­zie­rungs­lehr­gän­ge für Thea­ter an der Aka­de­mie für Leh­rer­fort­bil­dung und Per­so­nal­füh­rung in Dil­lin­gen, lang­jäh­ri­ge Vor­sit­zen­de der LAG Thea­ter und Film in Bay­ern, seit Novem­ber 2021 Vor­sit­zen­de des Bun­des­ver­ban­des Thea­ter in Schu­len (Dop­pel­spit­ze mit Tonio Kempf), z.Zt. abge­ord­net ans Kul­tus­mi­nis­te­ri­um (Refe­rat künst­le­risch-kul­tu­rel­le Bil­dung), Pro­jekt­lei­tung „Kul­tur­schu­len in Bayern“.

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