Knut Winkmann
Eigenproduktion nach dem Roman von Lea-Lina Oppermann
Bühnenfassung: Knut Winkmann
Berufliche Schule des Kreises Stormarn, Bad Oldesloe
Schleswig-Holstein
Wahlpflichtkurs des 13. Jahrgangs
Mitwirkende: 11 Schüler*innen
Spielleitung: Knut Winkmann
Eine Alarmglocke schrillt und schlagartig ist nichts mehr so, wie es vorher war. Eine vermummte Person dringt in ein Klassenzimmer ein, sie hat eine Waffe. Sieht so ein Amoklauf aus? Briefe tauchen auf, die Person weiß mehr, als der Klasse lieb ist. Es werden Geheimnisse an die Oberfläche gezerrt, keiner bleibt verschont. Mitlaufen oder sich positionieren? Ein Mittelweg ist nicht mehr möglich. Der Roman »Was wir dachten, was wir taten« von Lea-Lina Oppermann fußt auf eine brisante Frage: Welche Dynamiken löst ein Amoklauf innerhalb einer homogen erscheinenden Gruppe aus? Dabei hält uns die Autorin einen schonungslosen Spiegel vor, ihr Roman erinnert in seiner Radikalität an Janne Tellers Roman »Nichts. Was im Leben wichtig ist«. Junge Menschen loten aus, was wirklich »Bedeutung« in ihrem Leben hat und gehen dabei in selbst auferlegten Experimenten an ihre Grenzen. Bei Lea-Lina Oppermann kommt der Druck von außen, ganz real werden die Schüler*innen mit der Frage konfrontiert, für welche Werte man bereit ist, bis zum äußersten zu gehen.
Die Dramatisierung des Romans war die Vorlage für eine Spielclub-Inszenierung am Theater Lübeck, welche im März 2020 vor dem ersten Lockdown zur Première kam, danach aber nicht weitergespielt werden konnte. Unabhängig davon startete ich im August 2020 an der Beruflichen Schule in Bad Oldesloe mit einem Wahlpflichtkurs Theater in Präsenz, zusammen mit den Lehrkräften Iris Klostermann und Anita Evers. Es standen zunächst Theater-Grundlagen im Zentrum, die Präsentation eines Stückes bzw. einer Stückentwicklung zum Schuljahresende war aber ebenfalls angedacht. Im Zuge einer Stückauswahl wurden diverse Stücke gemeinsam gelesen, u.a. die Stückvorlage von »Was wir dachten, was wir taten«. Im Plenum entschied sich der Kurs für diese Fassung, verbunden mit einer daran anschließenden Arbeit am Text, da er für die Gegebenheiten vor Ort adaptiert werden musste und unter anderem Besetzungsfragen neu besprochen werden mussten.
Bis zum zweiten Lockdown fanden dann „reguläre Proben“ statt, die Anfangs-Szenen wurden in Doppelbesetzung einstudiert, es gab erste Ideen für ein Bühnenbild. Im Zuge des zweiten Lockdowns war jedoch völlig unklar, inwieweit Präsenz-Unterricht weiterhin möglich bzw. ob eine analoge Première im Sommer 2021 realisierbar sein könnte. Ab Dezember war dann klar: Es findet kein Präsenzunterricht mehr statt. Im Online-Plenum wurde gemeinsam mit dem Kurs besprochen, ob ggf. auch eine digitale Variante denkbar sei. Da das Theaterstück bereits einen intimen Kammerspiel-Charakter aufweist und an eine Verhörsituation erinnert, entschieden wir uns dafür, das Stück fortan als vorproduzierte Film-Variante in der Kachel-Optik einer Online-Konferenz anzudenken. Nicht alle aus dem Kurs hatten Interesse an Online-Theater, konnten sich eine digitale theatrale Interaktion nicht vorstellen. Deshalb wurde der Kurs geteilt. Die eine Hälfte entschied sich für einen allgemeinen Online-Theater-Kurs, in dem sie gemeinsam mit der Lehrerin Iris Klostermann Theaterstücke online schauten oder in die Welt des Theaters eintauchten, um sich darüber auszutauschen. So wurden beispielsweise ausgewählte Podcast-Folgen vom Theaterpodcast des Deutschlandfunk Kultur besprochen.
Die anderen elf jungen Erwachsenen entschieden sich, unter meiner Leitung eine Online-Version des Theaterstückes zu erstellen.
Zunächst einmal musste der Text komplett neu bearbeitet werden. Wie kann man szenische Vorgänge, Gänge oder Raumkonstellationen digital darstellen? Wo muss gerafft/gekürzt werden? Wie kann man Figuren zusammenschreiben / zusammenlegen? Die Gruppe einigte sich zunächst auf ein Grund-Setting im Kachel-Modus. Alle Takes sollten vor weißem Hintergrund und in schwarzer Kleidung erfolgen, die Anordnung der Darsteller*innen entsprach grob einer Sitzordnung in einem Klassenzimmer.
Jeden Donnerstag traf sich die Gruppe nun online über eine Online-Konferenz-Plattform (ohne Bildfunktion). Nach einem Warmup werden jeweils 1–2 Szenen des Stückes besprochen und gemeinsam erarbeitet. Was sind die Haltungen, Konstellationen der Figuren, um was geht es uns in den Szenen? Welches zusätzliche Bild- und Tonmaterial hilft, die Geschichte zu stärken?
Dann wurden die einzelnen Sprechtexte der Figuren als Takes durchnummeriert und die Szenen mehrfach »durchgespielt« und durchgesprochen. Im Anschluss an diese gemeinsamen Proben nahmen die jungen Erwachsenen jeweils bei sich zu Hause die eigenen Takes mit dem Smartphone auf (manchmal nur 1 Sekunde lang), wobei alle als Vorgabe hatten, nahezu den gleichen Bildhintergrund und Bildausschnitt zu wählen. Diese so erstandenen Takes legten sie in einer gemeinsamen Dropbox. Dieses Material diente dann mir und der Filmemacherin Katharina Spuida-Jabbouti als Grundlage, um aus den am Ende knapp 750 Takes und einem selbst erstellten Storyboard wie bei einem Puzzle die einzelnen Szenen „zusammenzubauen“. Das so entstandene Videomaterial wurde dann in der nächsten Donnerstag-Probe wieder gemeinsam vom ganzen Kurs angeschaut und besprochen, das Feedback der Jugendlichen wurde für den weiteren „Feinschliff“ der Szenen genutzt.
So entstanden jede Woche 3–4 Minuten Stückmaterial und am Ende ein digitales Theaterstück mit einer Gesamtlänge von 40 Minuten, welches seine Première über eine digitale Konferenz-Plattform feierte und zu der sich das Premierenpublikum live dazuschalten konnte.
Hier die Anfangssequenz der Produktion:
Trailer „Was wir dachten was wir taten”
Die knapp sechsmonatige digitale Reise war für alle Beteiligten herausforderndes und spannendes Neuland, die Resonanz auf die Première war wirklich beglückend. Neben der Einladung zum »Schultheater der Länder« war die Produktion noch in der Endauswahl beim »Theatertreffen der Jugend« der Berliner Festspiele.
Studierte u.a. Theaterwissenschaft (M.A.) und Kulturmanagement, ist Theaterpädagoge BuT und arbeitete für diverse Theater, Festivals und Medienanstalten. Aktuell leitet er die Abteilung Jung plus X am Theater Lübeck, als Autor werden seine Theaterstücke deutschlandweit vertreten, als Dozent arbeitet er u.a. auch für die Musikhochschule Lübeck. Inszenierungen von ihm wurden u.a. zu den Norddeutschen Theatertagen, zum Kaltstart Theaterfestival Hamburg sowie zum Bundestreffen Jugendclubs an Theatern eingeladen.