SCHUL.THEATER

Fokus

Vorüberlegungen zur Digitalität im Schultheater

Micha­el Aust & Micha­el Schwinning

Jedes SDL ist gedacht als eine the­men­spe­zi­fi­sche Werk­schau zur jewei­li­gen Stand­ort­be­stim­mung des Schul­thea­ters. Da „Digi­ta­li­tät“1Zur ers­ten Ori­en­tie­rung sie­he sie­he die Eröff­nung der Tagung Was ist Digi­ta­li­tät der LMU Mün­chen am 28.6.2019 mit dem Vor­trag von Prof. Felix Stal­der, der ab Minu­te 8:38 beginnt.  das Ober­the­ma im Jahr 2021 ist, scheint es sinn­voll, einen kur­zen Blick auf den his­to­ri­schen Kon­text zu wer­fen, um nach­voll­zieh­ba­re Kate­go­rien für die fol­gen­den Bespre­chun­gen zu generieren.

Die unbe­streit­ba­re Grund­la­ge alles Digi­ta­len war die Domes­ti­ka­ti­on von Elek­tri­zi­tät im 19. Jahr­hun­dert. Sie sorg­te etwa dafür, dass Thea­ter­büh­nen beleucht­bar wur­den, was Ein­fluss auf ästhe­ti­sche Aus­drucks­for­men hat­te und das bis dahin bekann­te Gefü­ge von Zeit und Raum beein­fluss­te. In der lan­gen tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lung seit die­sen Anfän­gen waren es immer wie­der neue Per­spek­ti­ven auf Zeit und Raum, die das Thea­ter an Aus­drucks­for­men berei­cher­te. In Bezug auf das Schul­thea­ter kam der ent­schei­den­de Umbruch mit dem Ein­zug digi­ta­ler Infor­ma­ti­ons­ver­fah­ren in Bil­dungs­sys­te­me. Vie­le der mög­li­chen Neue­run­gen bezo­gen sich zunächst auf Rezep­ti­ons­fra­gen, etwa der Repro­du­zier­bar­keit von Auf­füh­run­gen. Aus heu­ti­ger Sicht wich­ti­ger aber war die Tech­no­lo­gie, dank Bea­mer-Ein­satz und Rück­pro­jek­ti­ons-Mög­lich­kei­ten Film­äs­the­tik auch in Stü­cke selbst zu inte­grie­ren. Damit öff­ne­te sich erst­mals die Tür zur Digi­ta­li­tät, der Nut­zung digi­ta­ler Medi­en zur künst­le­ri­schen Erwei­te­rung kul­tu­rel­ler Aus­drucks­mög­lich­kei­ten. Davon konn­te etwa durch­aus die Rede sein, wenn eine Figur auf der Büh­ne sich selbst auf der Lein­wand begeg­ne­te, even­tu­ell mit dem Alter Ego kom­mu­ni­zier­te dank vor­pro­du­zier­tem Film­ma­te­ri­al. Eine Spiel­wie­se neu­er Bedeu­tun­gen war eröff­net, vor­läu­fig noch mit beschei­de­nen Mit­teln im Kon­trast zum all­ge­mei­nen tech­ni­schen Inno­va­ti­ons­tem­po, das lan­ge einer digi­ta­len Éli­te vor­be­hal­ten blieb. IT und Schul­thea­ter schie­nen kaum Berüh­rungs­punk­te zu haben und auch nicht danach zu suchen, eher im Gegenteil.

Schnell wur­den aller­dings auch die Ent­wick­lun­gen der Digi­ta­li­sie­rung domes­ti­ziert, das Inter­net zog in Woh­nun­gen ein, die Hard- und Soft­ware wur­de für vie­le erschwing­lich und bedurf­te nur weni­ger zu erwer­ben­der Kul­tur­tech­ni­ken, um sich glo­bal zu infor­mie­ren und zu ver­bin­den. In die­ser Dis­zi­plin über­hol­ten Schü­le­rin­nen und Schü­ler schnell die Leh­ren­den und ver­än­der­ten damit auch aktiv den Kom­pe­tenz­rah­men für Schul­thea­ter. Der „open access“ zu unzäh­li­gen Infor­ma­ti­ons­quel­len, die ubi­qui­tä­re Prä­senz von Bil­dern und Mei­nun­gen und die Not­wen­dig­keit des ein­zel­nen Men­schen, sich dazu zu ver­hal­ten, zwang, die neu­en Kul­tur­tech­ni­ken zu kom­bi­nie­ren und opti­mie­ren, um sie zunächst im pri­va­ten Bereich wie auch meist beruf­lich gewinn­brin­gend anzuwenden.

Hier ist nun vor­ran­gig ein Aspekt wich­tig. Es gilt zu unter­schei­den zwi­schen den Errun­gen­schaf­ten der Digi­ta­li­sie­rung im Umfeld Thea­ter all­ge­mein (Rezen­sio­nen quer­le­sen, Kar­ten vor­be­stel­len und Zahl­sys­te­me online nut­zen, wäh­rend der Vor­stel­lung schon ers­te Ein­drü­cke twit­tern, Emp­feh­lun­gen in Face­book pos­ten und likes erhal­ten) und Ent­wick­lun­gen im Bereich Digi­ta­li­tät. Die­se bezieht sich nicht auf die Nut­zung digi­ta­ler Tech­nik, um bekann­te und bewähr­te ana­lo­ge Aus­drucks­for­men des Thea­ters zu trans­for­mie­ren, um sie schnel­ler, ein­fa­cher, geschmei­di­ger zu machen, es geht vor­ran­gig dar­um, dass Digi­ta­li­tät als Mög­lich­keit zur Aus­ein­an­der­set­zung begrif­fen wird. Sie zeigt, dass Neu­es, Uner­hör­tes und Unge­se­he­nes aus den neu­en Tech­ni­ken ent­ste­hen und mit der Per­spek­ti­ve eines mög­li­chen kul­tu­rel­len Mehr­wer­tes ver­stan­den wer­den kann. Etwas ver­kürzt gesagt: Es ent­ste­hen neue Nar­ra­ti­ve mit neu­en Per­spek­ti­ven auf die Welt, die Ver­än­de­run­gen durch Digi­ta­li­sie­rung reflektieren.

Die grund­sätz­li­che Unüber­sicht­lich­keit aller Ent­wick­lun­gen auf dem Markt der Digi­ta­li­sie­rung nötigt dazu, für den Kon­text der Rezen­sio­nen hier auf eine vor­han­de­ne Struk­tur zurück­zu­grei­fen, die kon­kre­te Aspek­te für Digi­ta­li­tät benennt. Felix Stal­der, Pro­fes­sor für digi­ta­le Kul­tur in Zürich, ord­net der Kul­tur einer Digi­ta­li­tät drei Teil­be­rei­che zu, die auch für die­se Tex­te eine Beob­ach­tungs­rich­tung vor­ge­ben: Refe­ren­tia­li­tät, Gemein­schaft­lich­keit und Algo­rith­mi­zi­tät (Stal­der 2016: Kap. 2).

Refe­ren­tia­li­tät bezieht sich auf die unüber­schau­ba­re Men­ge von Daten und Bil­dern, die uns über die Welt zur Ver­fü­gung ste­hen, in der wir uns durch radi­kal limi­tie­ren­de Aus­wahl posi­tio­nie­ren müs­sen und kaum dem Zwang ent­ge­hen kön­nen, uns auch selbst öffent­lich dar­zu­stel­len. Da wir das aller­dings nicht für uns pri­vat, son­dern in gro­ßen Netz­wer­ken tun, aus denen wir Feed­back, meist affir­ma­tiv, erhal­ten, rich­ten wir unse­re Kom­mu­ni­ka­ti­on nach den gesell­schaft­li­chen Para­me­tern aus. Die­se Gemein­schaft­lich­keit nimmt Ein­fluss auf unse­re sozia­le Prä­gung, unse­re Spra­che, unse­re Denk­mus­ter. Zusätz­lich aber wer­den wir durch die­se Medi­en algo­rith­mi­siert. Das bedeu­tet, dass Maschi­nen unse­re frei­wil­lig oder unfrei­wil­lig ins Sys­tem ein­ge­speis­ten Daten aus­wer­ten und uns spe­zi­ell mit sol­chen Daten aus der Welt ver­sor­gen, die der Algo­rith­mus für uns als rele­vant erachtet.

Es ist auch im Schul­thea­ter zu erwar­ten, dass die Gestal­ten­den den genann­ten Bedin­gun­gen unter­lie­gen, die­se aller­dings in ihren Pro­duk­tio­nen nicht nur krea­tiv ver­wen­den, son­dern auch kri­tisch reflek­tie­ren und in den gewähl­ten Dar­stel­lungs­for­men zu durch­drin­gen ver­mö­gen. Inwie­weit es dafür im SDL2021 posi­ti­ve Ansät­ze gibt, wird hier zu ergrün­den sein. Des­halb gehen die Rezen­sio­nen von den Ver­fah­ren der Digi­ta­li­sie­rung aus, um deren Poten­ti­al in Bezug auf Digi­ta­li­tät einzuschätzen.

Literatur

Stal­der, Felix (2016): Kul­tur der Digi­ta­li­tät, Ber­lin: Edi­ti­on Suhrkamp

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MIchael Aust 

Leh­rer am Egbert-Gym­na­si­um der Bene­dik­ti­ner in Müns­ter­schwarz­ach. Seit Beginn erzie­he­ri­scher und unter­richt­li­cher Tätig­keit Thea­ter­leh­rer in ver­schie­dens­ten Insze­nie­rungs­for­men und Grup­pie­run­gen. Aus­ge­bil­det an der Aka­de­mie in Dil­lin­gen und an der Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg. Seit­dem als Refe­rent und Autor in ver­schie­de­nen Zusam­men­hän­gen tätig. Vor­sit­zen­der des Ver­bands Thea­ter am Gym­na­si­um in Bay­ern und Mit­glied des erwei­ter­ten Vor­stands der Lan­des­ar­beits­ge­mein­schaft Thea­ter und Film in Bay­ern, zustän­dig für die Orga­ni­sa­ti­on der Aus­bil­dung von Juni­or Assis­ten­ten Theater.

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Michael Schwinning 

Arbei­tet seit den acht­zi­ger Jah­ren als Thea­ter­leh­rer an einem Ham­bur­ger Gym­na­si­um, war von 2009 bis 2014 im Vor­stand des Ham­bur­ger FvTS tätig und Mit­or­ga­ni­sa­tor des Schul­thea­ter der Län­der 2009 in Ham­burg (Site Spe­ci­fic) sowie des Ham­bur­ger Fes­ti­vals „thea­ter­macht­schu­le“, tms. Er hat zahl­rei­che Tex­te für die Publi­ka­tio­nen Spiel&Theater, Schul­thea­ter und für den Fokus Schul­thea­ter ver­fasst. Thea­ter­grup­pen unter sei­ner Lei­tung neh­men regel­mä­ßig an loka­len Wett­be­wer­ben teil. 

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