Alte und neue Theaterpädagogik

Picture of Michael Morche
Michael Morche 

hat Schau­spiel stu­diert. Er arbei­tet als Spiel­lei­ter, Dozent und Ver­bands­ak­teur mit dem Schwer­punkt der Thea­ter­ar­beit von, mit und für jun­ge Menschen.
Lei­ter des frei­en Kin­der- und Jugend­thea­ter spiel­mit­te e.V. in Hal­le (Saa­le).

Picture of Florian Krannich (Mitarbeit)
Florian Krannich (Mitarbeit)

2008 bis 2017 war er Mit­glied im Ensem­ble des Tha­lia Thea­ters Hal­le. Seit 2020 gehört er zum Schau­spiel­ensem­ble des Neu­en Thea­ter Halle.

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Michael Morche 

hat Schau­spiel stu­diert. Er arbei­tet als Spiel­lei­ter, Dozent und Ver­bands­ak­teur mit dem Schwer­punkt der Thea­ter­ar­beit von, mit und für jun­ge Menschen.
Lei­ter des frei­en Kin­der- und Jugend­thea­ter spiel­mit­te e.V. in Hal­le (Saa­le).

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Florian Krannich (Mitarbeit)

2008 bis 2017 war er Mit­glied im Ensem­ble des Tha­lia Thea­ters Hal­le. Seit 2020 gehört er zum Schau­spiel­ensem­ble des Neu­en Thea­ter Halle.

Fort­set­zung: Der Beginn des fol­gen­den Tex­tes wur­de abge­druckt in Heft 78 der Zeit­schrift für Thea­ter­päd­ago­gik, S. 28. 

Inter­es­sen der Jugendlichen?

Ich fra­ge mich, war­um Jugend­li­che im digi­ta­len Raum an Thea­ter­pro­ben teil­neh­men soll­ten? Wol­len sie das überhaupt?

Ich glau­be, dass die künst­le­ri­sche Beschäf­ti­gung „Thea­ter“ für sie nicht an ers­ter Stel­le steht. Klar ste­hen sie gern auf der Büh­ne, erar­bei­ten für sie neue Rol­len, agie­ren spie­lend mit­ein­an­der und genie­ßen den Applaus. Und eini­ge von ihnen wol­len irgend­wann Schauspieler*innen wer­den. 

Es ist für sie mei­ner Mei­nung nach vor allem wich­tig, mit­ein­an­der in Kon­takt zu gehen, sich zu begeg­nen, wahr­ge­nom­men und wert­ge­schätzt wer­den – von ihren Mit­spie­len­den, von mir als Lei­ten­dem und von den Zuschau­en­den. Sie wol­len sich in die Augen schau­en, anfas­sen, berüh­ren, bewe­gen, Nähe suchen, Gren­zen aus­tes­ten, mit­ein­an­der etwas erle­ben und ihr Erle­ben mit­ein­an­der abglei­chen. Es ist für sie wich­tig, Glei­ches und Unter­schied­li­ches anein­an­der zu ent­de­cken, um sich einer­seits zu einer (sozia­len) Grup­pe zuge­hö­rig zu füh­len und gleich­zei­tig ihre indi­vi­du­el­le Iden­ti­tät auf­zu­bau­en. Zumin­dest ist es mir noch nicht gelun­gen, die­se Qua­li­tät von Mit­ein­an­der in den digi­ta­len Raum zu transportieren.

Wenn die genann­ten Bedürf­nis­se für jun­ge Men­schen von zen­tra­ler Bedeu­tung sind, dann kön­nen die Online­pro­ben sie nicht oder nur bedingt erfül­len. Digi­ta­li­tät im thea­ter­päd­ago­gi­schen Kon­text muss also ande­re Bedürf­nis­se von jun­gen Men­schen ansprechen.

Mei­ne Haltung

Ich fra­ge mich, war­um ich mich auf die Pro­ben nicht so rich­tig freue, son­dern sie als Belas­tung wahr­neh­me? Ich neh­me wahr, dass in mir eine Tak­tik von Ver­zö­gern, Auf­schie­ben und eine inne­re Gegen­wehr statt­fin­det, je näher die Frei­tags­pro­be rückt.

Natür­lich freue ich mich auf die Jugend­li­chen, will wis­sen, wie es ihnen geht, was sie gemacht haben und was sie über dies und jenes denken.

Aber aktu­ell füh­le ich mich über­for­dert, inkom­pe­tent und in mei­nen Mit­teln beschnit­ten. Ich muss den Umgang mit digi­ta­len Tools und neu­er Tech­nik erst erler­nen. Ich weiß nicht so rich­tig, was ich da eigent­lich jeden Frei­tag mache. Ich rate, was mög­li­cher­wei­se gut funk­tio­nie­ren und was die Teil­neh­men­den inter­es­sie­ren und sie anspre­chen könn­te. Sie spü­ren natür­lich, dass ich unsi­cher bin und dass ich suche. Und je weni­ger ich weiß, was ich da wirk­lich mache, des­to stär­ker sinkt ihr Inter­es­se und ihre Ver­läss­lich­keit, an den Online­pro­ben teilzunehmen.

Ver­ein & Team

spiel­mit­te ist ein frei­es Kin­der- und Jugend­thea­ter in Hal­le (Saa­le). Der Ver­ein bie­tet kon­ti­nu­ier­lich arbei­ten­de Thea­ter­grup­pen sowie offe­ne For­ma­te für ver­schie­de­nen Alters­klas­sen und in ver­schie­de­nen Thea­ter- und Dar­stel­lungs­for­men an. Das Team besteht aus acht seit lan­gem mit­ein­an­der arbei­ten­den Spiel­lei­ten­den. Ich lei­te den Ver­ein, das Team und mei­ne Theatergruppe.

In der Team­sit­zung berich­ten alle davon, dass die VK-Pro­ben eher schlecht lau­fen. Sie erzäh­len von Moti­va­ti­ons­ver­lust, Frus­tra­ti­on, feh­len­den Mit­teln für die Online­pro­ben und der Schwie­rig­keit, der Thea­ter­ar­beit nicht „nor­mal“ nach­ge­hen zu kön­nen. Die digi­ta­le Prä­sen­ta­ti­on wird als nicht gewinn­brin­gend und arbeitsaufwendig(er) wahr­ge­nom­men und der Zwang dazu als Belas­tung. Wir müs­sen aber etwas prä­sen­tie­ren, um den För­der­zweck erfül­len zu kön­nen, um zu recht­fer­ti­gen, dass wir und was wir in 2020 mit den Teil­neh­men­den gemacht haben.

Es ist unzwei­fel­haft, dass wir schlecht dar­auf vor­be­rei­tet sind, nun digi­tal mit Teil­neh­men­den thea­ter­päd­ago­gisch zu arbei­ten und mit ihnen prä­sen­ta­ti­ons­rei­fe Ergeb­nis­se zu gestal­ten. Wir haben das The­ma Digi­ta­li­tät in den letz­ten Jah­ren ziem­lich ver­schla­fen. Wir sind in einem Modi­fi­ka­ti­ons­pro­zess und der ist schwer. Wir konn­ten uns die digi­ta­le Thea­ter­ar­beit nicht orga­nisch mit der Zeit erobern, son­dern muss­ten in kür­zes­ter Zeit auf die sich ver­än­dern­de Welt reagieren.

Wir haben uns als Team inner­halb der letz­ten Wochen inten­siv in ver­schie­de­ne Tools für die digi­ta­le Thea­ter­ar­beit ein­ge­ar­bei­tet und ent­de­cken wöchent­lich wei­te­re span­nen­de Platt­for­men und Apps. Doch es reicht nicht, die Tech­nik zur digi­ta­len, kör­per­kon­takt­lo­sen Kom­mu­ni­ka­ti­on bloß zu beherr­schen. Wer­den alte Kon­zep­te und Ideen nicht gene­ral­über­holt und ange­passt, wer­den sie im Gegen­zug von die­ser Tech­nik beherrscht.

Wir haben fest­ge­stellt, dass das größ­te Pro­blem in der aktu­el­len Arbeit mit den digi­ta­len Tools ist, dass wir sie als Lücken­fül­ler wahr­neh­men und so behan­deln. Wir hof­fen qua­si wöchent­lich, dass der Spuk vor­bei ist und alles so wer­den kann wie vor­her. Die Online­pro­ben sind das not­wen­di­ge Übel, dass wir gera­de über uns erge­hen las­sen müs­sen. Womög­lich neh­men es die Teil­neh­men­den und deren Eltern ähn­lich wahr.

Natür­lich wis­sen wir tief in uns, dass das nicht stimmt.

Aus dem Gedan­ken der Über­brü­ckung her­aus ist es uns noch nicht gelun­gen, den Rah­men der digi­ta­len thea­ter­päd­ago­gi­schen Arbeit neu und kon­kret abzu­ste­cken und für uns und für die Teil­neh­men­den zu defi­nie­ren, was die jewei­li­gen Rol­len und Auf­ga­ben sind.

 Was folgt daraus?

Thea­ter­ar­beit mit Kin­dern und Jugend­li­chen in Prä­senz ist durch digi­ta­le Thea­ter­ar­beit nicht zu erset­zen. Sie ist ein­zig­ar­tig, wenn es dar­um geht, jun­ge Men­schen in ihrer Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung zu beglei­ten. Sie spricht neben einem spe­zi­el­len Inter­es­se vor allem zen­tra­le Bedürf­nis­se der jun­gen Men­schen an.

Wenn wir unse­ren Teil­neh­men­den wei­ter­hin ein Ange­bot unter­brei­ten wol­len, dass sie anspricht und inter­es­siert, müs­sen wir weg davon, die digi­ta­le thea­ter­päd­ago­gi­sche Arbeit als Zwi­schen­lö­sung oder Ersatz zu behan­deln! Sie darf nicht in Kon­kur­renz zur ana­lo­gen thea­ter­päd­ago­gi­schen Arbeit ste­hen, son­dern muss als eigen­stän­di­ges und wei­ter­ent­wi­ckel­tes künst­le­ri­sches Betä­ti­gungs­feld gedacht wer­den. Die­se spe­zi­el­le Arbeit hat ein ande­res Wesen, hat ande­re Vor­aus­set­zun­gen, braucht ande­re Struk­tu­ren, bie­tet ande­re Chan­cen, erfüllt ande­re Bedürf­nis­se und in ihr lie­gen ande­re Ziel­set­zun­gen. Es gilt also, gemein­sam in Zusam­men­ar­beit mit jun­gen Men­schen bis­he­ri­ges Thea­ter­prak­ti­ken auf den Prüf­stand zustel­len und gleich­zei­tig Neu­es in den Punk­ten Inhalt und Ästhe­tik mit den neu­en Aus­drucks­mit­teln des Bild­schirms und der Soft­ware zu wagen.

 Uto­pia

Wie kön­nen wir also Inhal­te (und For­ma­te) expli­zit digi­tal denken?

Mit dem Pro­jekt Uto­pia wer­den wir 2021 etwas Neu­es wagen. Wir wol­len mit unse­ren Teil­neh­men­den die pro­ble­ma­ti­sche Zeit nut­zen und spie­le­risch und tech­nisch kon­se­quent neue Wege gehen. Und zwar nicht als Über­gangs- oder Not­lö­sung, son­dern als Wei­ter­ent­wick­lung des moder­nen Thea­ters. Dabei wol­len wir auf der „neu­en“ Sei­te VK-Tools, Gam­ing Soft­ware und Strea­ming als pri­mä­res ästhe­ti­sches Mit­tel in unse­re Arbeit inte­grie­ren und auf der ande­ren, „alten“ Sei­te auf die unver­zicht­ba­ren Kern­ele­men­te des Thea­ters, Ent­wick­lung durch Spiel und Wahr­haf­tig­keit in der Behaup­tung set­zen. 

Uto­pia wird ein alters­über­grei­fen­des Plan­spiel, das auf Ele­men­te von klas­si­schen Rol­len­spie­len genau­so zugreift wie auf expli­zit digi­ta­le Dar­stel­lung­for­ma­te wie DIY-Vide­os, Fol­low-me-arounds oder Rants – mit dem Ziel, dass die jun­gen Men­schen als Teil­neh­men­de ihre Kom­pe­ten­zen in die Erschaf­fung einer neu­en, bes­se­ren Gesell­schaft auf dem fer­nen Pla­ne­ten Uto­pia ein­brin­gen kön­nen. (wei­te­re Infor­ma­tio­nen unter www.spielmitte.de)

Erstellt: 4. Juni 2021 
Aktua­li­siert: 8. Juni 2021 

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