Du, der Computer und ich 

Zu Möglichkeiten und Grenzen einer theaterpädagogischen Praxis online

Der Gol­de­ne Club des Meck­len­bur­gi­schen Staats­thea­ters bei einer Pro­be (Lei­tung: Tina Koball)
Ronja Kindler
Ronja Kindler 

stu­dier­te Sozia­le Arbeit (B.A.) sowie Thea­ter­päd­ago­gik (M.A., BuT®) und arbei­tet als Thea­ter­päd­ago­gin am Meck­len­bur­gi­schen Staatstheater.

Die­ser Bei­trag gehört zum Digi­tal­teil der Zeit­schrift für Thea­ter­päd­ago­gik, Aus­ga­be 78. 
Ronja Kindler
Ronja Kindler 

stu­dier­te Sozia­le Arbeit (B.A.) sowie Thea­ter­päd­ago­gik (M.A., BuT®) und arbei­tet als Thea­ter­päd­ago­gin am Meck­len­bur­gi­schen Staatstheater.

Bis zum März 2020 haben thea­ter­päd­ago­gi­sche For­ma­te haupt­säch­lich noch mit allen Betei­lig­ten an einem Ort statt­ge­fun­den. Die Kon­takt­be­schrän­kun­gen haben die­se Pra­xis her­aus­ge­for­dert. Viel wur­de in den digi­ta­len Raum ver­la­gert. Schnell ver­netz­ten sich Theaterpädagog*innen, um sich dar­über aus­zu­tau­schen, wie Thea­ter­päd­ago­gik online funk­tio­niert. So grün­de­te z.B. die Thea­ter- und Spiel­be­ra­tung Baden-Würt­tem­berg die Face­book-Grup­pe Thea­ter­ver­mitt­lung digi­tal-Aus­tausch, Ideen+Beiträge für Thea­ter-AGs u.a.

In dem Pro­jekt „Du, der Com­pu­ter und ich“ habe ich mit Expert*innen aus den Berei­chen Thea­ter­päd­ago­gik, Sozi­al­ar­beit, Pup­pen­spiel und Medi­en­an­thro­po­lo­gie dazu expe­ri­men­tiert, was eine thea­ter­päd­ago­gi­sche Pra­xis online bedeu­tet. Wir sind von Grup­pen aus­ge­gan­gen, deren Mit­glie­der sich gleich­zei­tig auf Video­kon­fe­renz-Platt­for­men online tref­fen. Die Beob­ach­tun­gen wur­den sys­te­ma­tisch erfasst und qua­li­ta­tiv aus­ge­wer­tet. Zum einen haben wir thea­ter­päd­ago­gi­sche Spiel­prin­zi­pi­en unter den Bedin­gun­gen der Pro­gram­me erprobt. Zum ande­ren haben wir uns mit den Mög­lich­kei­ten der Pro­gram­me und Tools aus­ein­an­der­ge­setzt. Dar­aus sind z.T. neue Spiel­an­sät­ze ent­stan­den. In die Unter­su­chung wur­den außer­dem Beob­ach­tun­gen aus dem Kin­der-Thea­ter­pro­jekt Wun­der­la­bor ein­ge­bun­den, dass ich zeit­gleich wöchent­lich über Zoom durch­ge­führt habe. So ent­stand eine Spie­le- und Übungs­samm­lung, die u.a. über die Home­page der Hoch­schu­le für Musik und Thea­ter Ros­tock ver­öf­fent­licht wur­de[i].

Im Fol­gen­den wer­den die Ergeb­nis­se in einem pra­xis­ori­en­tier­ten Kon­text beschrie­ben und anschlie­ßend mit theo­re­ti­schen Über­le­gun­gen ver­knüpft. Dafür wer­den ver­schie­de­ne Dimen­sio­nen in den Blick genom­men. Je nach Per­spek­ti­ve kann ein Umstand als Begren­zung oder als Mög­lich­keit einer thea­ter­päd­ago­gi­schen Pra­xis inter­pre­tiert wer­den, wor­aus sich wie­der­um Fra­gen an die Pra­xis ergeben.

Die Ver­än­de­run­gen durch eine ande­re Räum­lich­keit ste­chen beson­ders her­vor: Eini­ge Prak­ti­ken, die ihrer Anla­ge nach vom ana­lo­gen Raum aus­ge­hen, las­sen sich auf Video­kon­fe­ren­zen nicht über­tra­gen. Im ana­lo­gen Raum stellt sich etwa eine Anord­nung durch die räum­li­che Ori­en­tie­rung her, wie z. B. durch die Per­so­nen­auf­stel­lung im Kreis (wie bei zahl­rei­chen Impuls­spie­len). Eini­ge Pro­gram­me ermög­li­chen inzwi­schen das Anord­nen der Kacheln. Den­noch kann es von Vor­teil sein, am Anfang eines Mee­tings eine Per­so­nen­rei­hen­fol­ge mit­zu­tei­len. Die­se kann an den ent­spre­chen­den Stel­len im Ver­lauf des Mee­tings immer wie­der zum Ein­satz kommen.

Durch die Kame­ra wird ein inti­mer Blick in das pri­va­te Umfeld gewährt. Für die Spieler*innen wird der pri­va­te Raum zum Pro­ben­raum. Her­ein­kom­men­de Geschwis­ter sor­gen bspw. für unvor­her­ge­se­he­ne Stö­run­gen. Dabei stellt sich die Fra­ge, wie unter die­sen Bedin­gun­gen ein geschütz­ter Raum gewähr­leis­tet wer­den kann. Dass im Früh­jahr 2020 zahl­rei­che Trol­le uner­war­tet in Mee­tings auf­tauch­ten, führ­te immer­hin dazu, dass die Sicher­heits­ein­stel­lun­gen der Video­kon­fe­renz-Platt­for­men erwei­tert wur­den. Beson­ders für die Gefahr sexu­el­ler Über­grif­fe sen­si­bi­li­siert etwa der Ver­ein Selbst­laut[ii].

Ein wei­te­res Ergeb­nis der Beob­ach­tun­gen war, dass das Medi­um und die vor­lie­gen­den tech­ni­schen Bedin­gun­gen die Mög­lich­kei­ten zum Spie­len beein­flus­sen. Bei­spiels­wei­se bie­tet Zoom Spiel­an­rei­ze, etwa durch die bewuss­te Ver­wen­dung des Kame­ra-Sicht­felds oder die Funk­ti­on vir­tu­el­le Hin­ter­grün­de. Es wer­den auf die­se Wei­se Din­ge mög­lich, die ana­log nicht oder nur sehr auf­wän­dig mög­lich wären. Die Spieler*innen kön­nen dar­über bestim­men, was von ihnen gese­hen wer­den soll und was nicht. Sie kön­nen sich zeit­gleich unter­schied­lich insze­nie­ren, indem sie ihre von der Kame­ra ein­ge­fan­ge­ne Umge­bung gestal­ten oder vir­tu­el­le Hin­ter­grün­de verwenden.

Zudem ergibt sich eine beson­de­re Per­spek­ti­ve durch den Bild­schirm. Wenn es dar­um geht, Bewe­gun­gen mit­ein­an­der zu syn­chro­ni­sie­ren (z. B. beim Spie­geln), erleich­tert der Blick auf den Bild­schirm das Abglei­chen der eige­nen Bewe­gun­gen mit denen der ande­ren Spieler*innen. So ver­teilt sich die Selbst­wahr­neh­mung auf zwei Ebe­nen, näm­lich den eige­nen Kör­per und des­sen Abbild auf dem Bild­schirm. Die Fra­ge ist, wie eine thea­ter­päd­ago­gi­sche Pra­xis es hier schaf­fen kann, die sinn­li­che Ebe­ne zu erwei­tern und dabei die real vor­han­de­ne Kör­per­lich­keit, ihr Abbild, und schließ­lich den Bild­schirm selbst bewusst ein­zu­be­zie­hen. Denn: Online­kom­mu­ni­ka­ti­on ist nicht kör­per­los. Dass der Kör­per als eine Grund­vor­aus­set­zung für Kom­mu­ni­ka­ti­on nicht weg­zu­den­ken ist, hält Frank Bon­z­cek (2010, 47)[iii] in Bezug auf das For­schungs­pro­jekt „pri­eL – pra­xis­in­te­grie­ren­de elek­tro­ni­sche Lern­ba­sis“ fest, inner­halb des­sen er 2005–2008 an thea­tra­ler Online­kom­mu­ni­ka­ti­on geforscht hat.

Eine digi­ta­le thea­ter­päd­ago­gi­sche Pra­xis führt Spieler*innen orts­über­grei­fend zusam­men. Im Tuto­ri­al Wie funk­tio­niert par­ti­zi­pa­ti­ves Thea­ter im Netz und was sind sei­ne Tools? (Aka­de­mie Theater.Digital 2020)[iv], das inner­halb des Thea­ter­tref­fens der Ber­li­ner Fest­spie­le 2019 auf­ge­nom­men wur­de, hält Cas­par Wei­mann fest, dass die Zuschauer*innen bei digi­ta­lem Thea­ter eine grö­ße­re Frei­heit dar­in haben, wie sie an einer Auf­füh­rung teil­neh­men, was sie z. B. wäh­rend­des­sen tun (ebd., Min. 10:02). Das muss auch in Bezug auf Teilnehmer*innen thea­ter­päd­ago­gi­scher For­ma­te betrach­tet wer­den. Bei­spiels­wei­se kön­nen sie meh­re­re Fens­ter am PC öff­nen und ihre Auf­merk­sam­keit auf­tei­len. Dies ermög­licht ihnen eine höhe­re Selbst­be­stim­mung. Wenn aller­dings Nähe oder Fokus­sie­rung aus päd­ago­gi­schen Grün­den nötig wäre, kommt die Spiel­lei­tung an Gren­zen, weil sie nicht phy­sisch Ein­fluss neh­men kann.

So wie die phy­si­sche Ein­fluss­nah­me begrenzt ist, erge­ben sich aber auch neue Räu­me, mit­ein­an­der in Kon­takt zu tre­ten. Kath­rin Tie­de­mann, Iri­na-Simo­na Bar­ca und Kat­ja Gra­win­kel-Claa­sen vom Forum Frei­es Thea­ter (FFT) Düs­sel­dorf heben her­vor, dass durch digi­ta­le Thea­ter­for­ma­te Wis­sens­hier­ar­chien zwi­schen den Gene­ra­ti­on fra­gil wer­den und einen gleich­be­rech­tig­ten Gene­ra­tio­nen­aus­tausch ermög­li­chen könn­ten (Bar­ca et al 2020, 6 f.)[v].

Durch die Pan­de­mie wur­de ein digi­ta­les Labor für die thea­ter­päd­ago­gi­sche Pra­xis eröff­net. Doch was bleibt, falls wir im Som­mer wie­der mit meh­re­ren Men­schen in einem ana­lo­gen Raum pro­ben kön­nen? Ist Thea­ter­päd­ago­gik online nur die Not­lö­sung? Das wäre bedau­er­lich, ist doch durch die Suche nach neu­en For­men eine bun­des­wei­te und glo­ba­le Ver­net­zung ent­stan­den. Zudem ist unser All­tag auch ohne Pan­de­mie längst digi­tal durch­drun­gen. Eine Ver­bin­dung digi­ta­ler und ana­lo­ger Ansät­ze ist für die Zukunft unab­ding­bar und eine Tren­nung nicht mehr mög­lich. Dass Offen­heit und Refle­xi­on für eine digi­ta­le thea­ter­päd­ago­gi­sche Pra­xis über die pan­de­mi­schen Zei­ten hin­aus Bestand haben, ist des­halb mehr als wünschenswert.

 

Fußnoten

[i] THEATERPÄDAGOGIK ONLINE. Du, der Com­pu­ter und ich. Eine Samm­lung thea­ter­päd­ago­gi­scher online Spie­le und Übun­gen [PDF]. Abruf­bar unter: bit.ly/2WZRQN1 (Ein­ge­se­hen am 07.01.2020)

[ii] Der öster­rei­chi­sche Ver­ein Selbst­laut hat einen Leit­fa­den zum Umgang bei sexu­el­len Über­grif­fen im Netz ver­öf­fent­licht: Selbst­laut. Sexu­el­le Über­grif­fe in Online-Gesprä­chen und Video­kon­fe­ren­zen. Abruf­bar unter: https://selbstlaut.org/corona/sexuelle-uebergriffe-in-onlinekonferenzen/ (Ein­ge­se­hen am 07.01.2020)

[iii] Bon­c­zek, Frank (2010): Vir­tu­el­le Stol­per­stei­ne – ein thea­ter­päd­ago­gi­scher Blick auf die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­schwel­len vir­tu­el­ler Räu­me. In: Bon­c­zek, Frank (Hg.) Thea­tra­li­tät Online! Posi­tio­nen für eine thea­tra­le online-Inter­ak­ti­ons­päd­ago­gik. Milow: Schibri Ver­lag, S. 17–61.

[iv] Aka­de­mie Theater.Digital: #TT_Tutorials: Wie funk­tio­niert par­ti­zi­pa­ti­ves Thea­ter im Netz und was sind sei­ne Tools? [Online Video]. Hoch­ge­la­den am 25. Mai 2020. Abruf­bar unter: https://vimeo.com/422353485 (Ein­ge­se­hen am: 07.01.2021)

[v] Bar­ca, Iri­na-Simo­na/­Gra­win­kel-Claa­sen, Katja/Tiedemann, Kath­rin (2020): Das Thea­ter der Digi­tal Nati­ves. Beob­ach­tun­gen und Erkun­dun­gen am FFT Düs­sel­dorf [PDF]. Ver­öf­fent­licht am 10.5.2020.

Abruf­bar unter: https://fft-duesseldorf.de/wp-content/uploads/2020/05/FFT_Das-Theater-der-Digital-Natives_final.pdf (Ein­ge­se­hen am 07.01.2021)

Titel­fo­to: Ron­ja Kind­ler;  Ava­tar-Foto: Lars Schulz

Erstellt: 31. Mai 2021 
Aktua­li­siert: 23. Juni 2021 

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