Fokus 2019 - Raum.Bühne

Der gestaltete leere Raum

Im DS-Unterricht, aber auch in der Theater-AG fehlt es oft an Zeit, um sich ausführlich mit der Gestaltung des Bühnenraumes auseinanderzusetzen. Deshalb wird gerne im leeren Raum gespielt. Dieser Workshop will Theaterlehrer*innen Mut machen, sich im Unterricht und auf den Proben dem Thema „Bühnenraum und Bühnenbild“ zuzuwenden und eine Unterrichtseinheit / Probeneinheit dazu durchzuführen. Im Vordergrund dieser Einheit steht nach einem theoretischen Input wie immer im Darstellenden Spiel die praktische Arbeit.

Natürlich kann man auch im leeren Raum spielen, aber: Ein gestalteter Bühnenraum verleiht dem Spiel Flügel!

Wie anfangen?

Viele Schüler*innen bringen in den Theaterunterricht einen Realismusbegriff mit, der stark geprägt ist durch Film und Fernsehen. Das heißt, sie wollen auf der Bühne die Welt reproduzieren, wie sie sich in ihren Augen darstellt. Also gehören für sie das Sofa und der Couchtisch auf die Bühne, der Küchentisch und die Sitzecke. Dass solch illusionistische Bühnenbilder nicht funktionieren und dass sie das Spiel eher im Keim ersticken, weiß die Spielleitung. Aber die Spieler*innen wissen es nicht, wenn wir es ihnen nicht zeigen. Deshalb gehört an den Anfang einer Beschäftigung mit dem Thema „Bühnenbild“ unbedingt eine
Übungseinheit, die vom Realismus wegführt hin zur zeichenhaften und abstrakten Bühnengestaltung.

In der folgenden Übung inszenieren die Schüler*innen in Dreiergruppen ein und denselben kleinen Dialog in unterschiedlichen Bühnenbildern.


Übung: Bühne kreiert Spiel kreiert Bühne. Downolad.

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Theorie

Wenn die Schüler*innen verstanden haben, dass es andere Möglichkeiten gibt als Stuhl, Tisch und Sofa zeigen wir ihnen Bühnenbilder aus dem Profi- und dem Schultheater, die unserer Auffassung von einem guten Bühnenbild entsprechen:

  • Es spiegelt die Idee des Stückes wider.
  • Es bietet Spielräume und Spielimpulse.
  • Es ist „arm" (Redaktion der Mittel).

Schaut man sich die Entwicklung des Bühnenbildes im professionellen Theater des letzten Jahrzehnts an, so zeichnet sich deutlich als eine Entwicklung die Reduktion der Mittel ab.


Profitheater Beispiel 1: Der gestaltete leere Raum - Olaf Altmann

Olaf Altmann, der geniale Bühnenbildner Michael Thalheimers, geht sogar so weit zu sagen: „Es ist schwer, eine bessere Bühne zu bauen, als die leere Bühne es ist.“ Er sieht es als seine Aufgabe, aus einer leeren Bühne eine bessere leere Bühne zu machen.

Der wohl größte Erfolg Michael Thalheimers war 2001 „Emilia Galotti“ am Deutschen Theater in Berlin, eine Inszenierung, die um die ganze Welt ging und überall Erfolge feierte. Ohne Frage auch ein Verdienst von Olaf Altman, der mit seinem Kunst-Raum die Inszenierung ganz wesentlich prägt: Ein nüchterner, Holz getäfelter Raum, ohne sichtbare Auswege und irgendwelche störenden Bühnen-elemente fluchtartig nach hinten auf eine schwarze Öffnung zentriert. Aus diesem schwarzen Schlund schreiten die
Darsteller wie auf einem Laufsteg gerade nach vorne bis an den Bühnenrand, wo sie allein oder zu zweit ganz und gar pantomimisch die Exposition des Stückes spielen. Diese Choreographie einer künstlichen
Mechanik der Auf- und Abtritte zieht sich durch das gesamte Stück und ist zusammen mit der vorwärts treibenden Musik von Bert Wrede Zeichen für die Ausweglosigkeit Emilias und der Figuren um sie herum. Der Mensch ist beherrscht von der Leidenschaft, die ihn in ihren Würgegriff nimmt.Wie immer bei Olaf Altmann gibt es einen Magic Moment im Bühnenbild, einen Moment, der einen umhaut, wo sich alles auf den Kopf stellt. In „Emilia Galotti“ ist es der Schluss, wenn sich die Seitenwände öffnen und schwarz gekleidete Tänzer und Tänzerinnen zur Walzermusik aus den Öffnungen hervorquellen und Emilia verschlucken.

Kein anderes Stück als „Die Ratten“ von Gerhart Hauptmann kann besser zeigen, was Olaf Altmann meint, wenn er sagt, er wolle aus einer leeren Bühne eine bessere leere Bühne machen. Eigentlich ja fast zum Scheitern verurteilt: Ein naturalistisches Stück, das als Kern seiner Aussage die These vertritt, der Mensch sei Produkt des Milieus, in dem er lebt, spielt in einem leeren Raum. Die seiten-langen Bühnenbildbeschreibungen Hauptmanns sind hinfällig geworden. Altmann reduziert das alles auf die
Idee des unterdrückten Menschen. Er baut eine Bühne, die die Spieler einquetscht zwischen zwei Holzblöcken von oben und von unten. Der Mensch kann nur mehr gebückt, nicht aufrecht durch das Leben schreiten. Und auch hier gibt es keinen Ausweg. Die Figuren können diesem Raum nicht entfliehen: Sie sind das ganze Stück über im Hintergrund anwesend. Dazu hört man das ganze Stück über ein metaphysisches Knirschen, das einem Angst macht, die Decke könnte herabstürzen und die Menschen zermalmen.

Katrin Brack ist wahrscheinlich die radikalste unter den heutigen Bühnenbildnern. Sie will in ihren Bühnenbildern Räume schaffen, in und mit denen die Schauspieler*innen assoziativ umgehen können und die für die Zuschauer über die Dauer der Aufführung verschiedene Lesarten zulassen.


Profitheater Beispiel 2: Der mit Materie gefüllte leere Raum- Katrin Brack

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Auch Johannes Schütz ist ein Meister der Reduktion. Seine Bühnenbilder sind Denkräume, aber keine illusionistischen Bebilderungen: „Gute Bühnen sind oft leer.“ (Schütz 2008, 6)

Profitheater Beispiel 3: Der leere Raum als Denkraum- Johannes Schütz

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Auch im Schultheater hat sich in den letzten Jahren eine Ästhetik entwickelt, die sich vom illusionistischen Bühnenbild mit der ausrangierten Sofagarnitur weg hin zu einem gestalteten leeren Raum bewegt.

Inhaltsverzeichnis

Fokus 2019 - Raum.Bühne

Lehrer und Studienleiter für Darstellendes Spiel in Schleswig-Holstein

tilmann.ziemke@t-online.de