SCHUL.THEATER

Fokus

Ein digitales Werk in digitalen Zeiten – der Balanceakt einer digitalen Theaterproduktion 

Projektbericht Hessen – Appsolutely

Theater in Zeiten des Lockdowns

Leo­no­re Have­mann und Sophia Rosenkranz-Kalis 

Eigen­pro­duk­ti­on 
Hein­rich-von-Kleist-Schu­le Esch­born
Hes­sen
WPU DS 9. Klas­se
Mit­wir­ken­de: 26 Schüler*innen
Spiel­lei­tung: Leo­no­re Have­mann und Sophia Rosenkranz-Kalis

Entstehungsrahmen

„Das Thea­ter geht wei­ter trotz Lock­downs“ war unser Mot­to, als der Prä­senz­un­ter­richt nach einer ers­ten kur­zen thea­tra­len Erfah­rung im schu­li­schen DS-Prä­senz­un­ter­richt digi­tal fort­ge­führt wer­den musste.

Wir star­te­ten im Schul­jahr 2020/2021 mit einem DS Wahl­pflicht­kurs (WPU) einer 9. Klas­se an der Hein­rich-von-Kleist-Schu­le in Esch­born (HvK). Die HvK ist eine Koope­ra­ti­ve Gesamt­schu­le, so dass die WPU-Kur­se in der 9. und 10. Klas­se schul­form­über­grei­fend ange­bo­ten wer­den kön­nen. Unser DS-Kurs setz­te sich aus 26 Schüler*innen zusam­men, davon 23 Mäd­chen und 3 Jun­gen aus dem Real­schul- und Gym­na­si­al­zweig, die sehr unter­schied­li­che Vor­aus­set­zun­gen mit­brach­ten. Die meis­ten Schüler*innen hat­ten wenig bis kei­ne Erfah­rung mit Thea­ter, waren jedoch sehr tanz­freu­dig und moti­viert. Wir DS-Leh­re­rin­nen hat­ten natür­lich bereits Erfah­rung mit Thea­ter, die­ses Pro­jekt war jedoch unser ers­tes Pro­jekt als Spielleiterinnen.

Wir began­nen mit einem bio­gra­fi­schen Ansatz nach Mai­ke Plath (Plath 2009), bei dem die Erfah­run­gen der Schüler*innen wäh­rend des ers­ten Lock­downs im Schul­jahr 2019/2020 im Mit­tel­punkt stan­den. Schon in die­ser Pha­se wur­de die Bedeu­tung der sozia­len Medi­en im Leben der Jugend­li­chen und spe­zi­ell wäh­rend des Lock­downs deut­lich. Wei­ter­füh­ren­de Übun­gen, durch die eine ers­te Ver­mitt­lung von thea­tra­len Grund­la­gen1Ver­mit­tel­te thea­tra­le Grund­la­gen: Mit­hil­fe der Übung „Die Pup­pen tan­zen las­sen“ haben sich die Schüler*innen spie­le­risch ver­schie­de­nen For­ma­tio­nen, Tätig­kei­ten sowie ästhe­ti­schen Mit­teln ange­nä­hert und die­se in wei­ter­füh­ren­den Übun­gen (bei­spiels­wei­se Stand­bil­der bau­en oder kur­ze Sze­nen nach­spie­len) ange­wandt und ver­tieft. erfolg­te, mach­te dar­über hin­aus ein gro­ßes Inter­es­se an den The­men Freund­schaft und Zuge­hö­rig­keit deut­lich. Kurz bevor der zwei­te Lock­down2Die­ser Lock­down dau­er­te von Dezem­ber 2020 bis Mai 2021. begann, hat­ten sich die Schüler*innen in sie­ben the­ma­ti­schen Grup­pen zusam­men­ge­fun­den, die sich aus den Übun­gen erga­ben. In einem nächs­ten Schritt soll­ten – auf Grund­la­ge des bis dahin in der Schatz­kis­te3Schatz­kis­te nach Plath 2009: Sämt­li­che Ergeb­nis­se, die bei Übun­gen ent­ste­hen, wer­den in einer schö­nen Kis­te für die Wei­ter­ar­beit auf­be­wahrt. Auf die­se Wei­se wird ein Ideenf­un­dus gene­riert, auf den wäh­rend eines Pro­jekt­ver­laufs zurück­ge­grif­fen wer­den kann gesam­mel­ten Mate­ri­als – Geschich­ten ent­wi­ckelt wer­den. Die­se ent­stan­den jedoch – anders als anfäng­lich geplant – voll­stän­dig im Lock­down in Form von Video­auf­nah­men. Aus unse­rem Büh­nen­stück, das media­le Ele­men­te4Wir hat­ten ursprüng­lich geplant, eine Col­la­ge mit media­len Ele­men­ten auf der Büh­ne zu ent­wi­ckeln, d.h. der Büh­nen­raum soll­te mit Video­pro­jek­tio­nen erwei­tert wer­den, sodass Inter­ak­tio­nen zwi­schen Bild­schirm und Büh­ne ermög­licht wer­den soll­ten. Die so ver­än­der­ten Grö­ßen­ver­hält­nis­se auf der Büh­ne schaf­fen eine Stö­rung, die Flüch­tig­keit des Thea­ters wird auf­ge­ho­ben, Wie­der­ho­lun­gen kön­nen ein­fach erzeugt wer­den – dies alles ver­än­dert die Wahr­neh­mung des Zuschau­ers durch eine Über­frach­tung der Zei­chen. beinhal­ten soll­te, wur­de somit ein rein digi­ta­les Pro­dukt. Auch der Schnitt, der in unse­rer anfäng­li­chen Pla­nung immer mehr an die Schüler*innen abge­ge­ben wer­den soll­te, wur­de aus­schließ­lich von der Spiel­lei­tung über­nom­men. Auch wenn alles etwas anders kam als geplant, war für uns ganz klar, dass das Thea­ter digi­tal wei­ter­ge­hen soll­te. Am Ende konn­te ein klei­ner Teil des Stücks „App­so­lut­e­ly“ noch im Prä­senz­un­ter­richt fer­tig­ge­stellt wer­den. Da wir uns zu meh­re­ren Thea­ter­fes­ti­vals ange­mel­det hat­ten, um unse­ren Schüler*innen trotz Lock­downs so viel Thea­ter wie mög­lich zu bie­ten, wur­de die Zeit dann auf ein­mal ziem­lich knapp, denn die ers­te Abga­be stand für das Hes­si­sches Schul­thea­ter­tref­fen (HSTT) an. Der Zeit­druck, die letz­ten Auf­nah­men am Set und die Auf­re­gung vor der Fer­tig­stel­lung des End­pro­dukts erin­ner­ten an die letz­te Pha­se und Gene­ral­pro­be einer Büh­nen­in­sze­nie­rung. Neben der Teil­nah­me am HSTT, dem IDEA5Inter­na­tio­nal Drama/Theatre and Edu­ca­ti­on Asso­cia­ti­on und SDL6Schul­thea­ter der Län­der hat­ten wir abschlie­ßend die Mög­lich­keit, unser Stück im Sep­tem­ber 2021 live in der Schul­au­la vor Fami­li­en und Freun­den vor­zu­stel­len. Ein­ge­rahmt und beglei­tet wur­de die Video­prä­sen­ta­ti­on von der Mode­ra­ti­on der Schüler*innen, den Abschluss bil­de­te eine Live-Cho­reo­gra­phie – das Live-Auf­tre­ten war für die Schüler*innen das High­light des Abends. Dies hat ver­deut­licht, dass es rich­tig war, das Thea­ter in Zei­ten der Pan­de­mie digi­tal am Leben zu erhal­ten, dass das digi­ta­le Thea­ter jedoch kei­nes­falls das Spie­len auf der Büh­ne erset­zen kann.

Projekt im Überblick

Unter den Bedin­gun­gen des Home­schoo­lings ist eine media­le Col­la­ge zum The­ma rund um Social-Media ent­stan­den. In sie­ben Grup­pen haben die Schüler*innen ver­schie­de­ne Phä­no­me­ne aus ihrer media­len Welt behan­delt – Cat­fi­sh, Dark­net, Influen­cer, Ent­frem­dung, Pho­to­shop, Fil­ter­bla­se und natür­li­che die unter­schied­li­chen Apps, mit denen sich die Schüler*innen tag­täg­lich meh­re­re Stun­den aus­ein­an­der­set­zen. Die Apps haben ihre eige­nen per­so­ni­fi­zier­ten Auf­trit­te, gera­ten in Kon­flik­te um Beliebt­heits­grad, Reich­wei­te und Ein­zig­ar­tig­keit und kon­kur­rie­ren um Likes. Die Per­spek­ti­ve der Jugend­li­chen legt den unter­schied­li­chen Gebrauch der Benut­zung von Social Media gene­ra­ti­ons­über­grei­fend offen: So wird Face­book mit einem Geh­stock und etwas in die Jah­re gekom­men cha­rak­te­ri­siert, Tik­Tok ist dage­gen schnell, inter­ak­tiv und lädt ein zum Mit­boun­cen. Die Geschich­ten sind in das Home­schoo­ling ein­ge­bet­tet. Das Home­schoo­ling selbst wird dabei per­si­fliert – und zwar aus bei­den Per­spek­ti­ven, die der Lehrer*innen und die der Schüler*innen. Inhalt und Form flie­ßen dabei inein­an­der über und bedin­gen sich gegen­sei­tig. Auf die­se Wei­se erzeu­gen sie nicht nur Komik, son­dern auch Authen­ti­zi­tät. Am Ende des Stücks ord­nen die Schüler*innen ihren eige­nen Medi­en­kon­sum ein, reflek­tie­ren die­sen und unter­strei­chen mit ihren bio­gra­fi­schen Aus­sa­gen zum Ende des Stücks die Bedeut­sam­keit des The­mas. 

Projektverlauf

Phase 1: Die Gruppe wird spielfähig – Vermitteln theatraler Grundlagen – Generieren von biografischem Material nach Maike Plath 

Die­se Pha­se konn­te glück­li­cher­wei­se noch im Prä­senz­un­ter­richt statt­fin­den. Im Mit­tel­punkt stan­den dabei: Ken­nen­ler­nen, Schaf­fen von Ver­trau­en, Schaf­fen eines Wir-Gefühls, Eta­blie­ren eines Ein­stie­g­ri­tu­als, Ein­füh­ren der For­ma­tio­nen und der ästhe­ti­schen Mit­tel durch die Übung „Die Pup­pen tan­zen las­sen“7Bei der Übung „Die Pup­pen tan­zen las­sen“ steht ein*e Spieler*in am Mikro­fon und gibt der Grup­pe, die wäh­rend­des­sen einen Raum­lauf macht, Anwei­sun­gen zu For­ma­tio­nen und Tätig­kei­ten. Die­se müs­sen als Grup­pe so prä­zi­se wie mög­lich aus­ge­führt wer­den. „Die Anwei­sun­gen an der Sta­ti­on zu geben erfor­dert Kon­zen­tra­ti­on und Krea­ti­vi­tät, denn schnell wird klar, dass die Begriffs­schil­der auf unend­lich vie­le Arten kom­bi­niert wer­den kön­nen und dadurch sehr wir­kungs­vol­le Bil­der in der Grup­pe ent­ste­hen. Den Jugend­li­chen macht es Spaß, auf die­se Wei­se ‚die Pup­pen tan­zen zu las­sen‘ und stän­dig neue Bil­der und Aktio­nen zu sehen, zu denen sie selbst den Impuls gege­ben haben. Daher ist es auch wich­tig, den Spie­ler an der Sta­ti­on häu­fig aus­zu­wech­seln, damit jeder mal in die Posi­ti­on ‚des Regis­seurs‘ gerät.“ Plath 2009, S. 87. nach Plath, Ein­füh­ren der Kom­po­si­ti­ons­me­tho­den, das Ent­wi­ckeln von Stand­bil­dern und klei­nen Sze­nen sowie das Ein­füh­ren des Feed­backs als fes­ter Bestand­teil des Arbeitsprozesses.

Bereits die ers­te Pha­se, näm­lich das Schaf­fen eines Wir-Gefühls, wur­de durch die Anony­mi­tät des Mas­ket­ra­gens sowie die ein­ge­schränk­ten Übungs­mög­lich­kei­ten unter Wah­rung der Abstand- und Hygie­ne­re­geln erschwert. Wir hat­ten das Gefühl, dass der Kurs erst in Pha­se 3 und der Rück­kehr zum Prä­senz­un­ter­richt rich­tig zu einem Ensem­ble zusam­men­wach­sen konnte.

Phase 2: Erarbeiten von (digitalem) szenischem Material zu sieben Themenbereichen

Die Idee für eine Col­la­ge zum The­ma Social Media und Bezie­hun­gen war noch recht­zei­tig in den drei Mona­ten vor dem Lock­down ent­stan­den. Die Schüler*innen hat­ten sich in sie­ben Grup­pen zusam­men­ge­fun­den und nun ging es um die Ent­wick­lung bzw. Wei­ter­ent­wick­lung von Geschich­ten zu unter­schied­li­chen Aspek­ten der media­len Welt – Apps, Dark­net, Fil­ter­bla­se, Influen­cer, Ent­frem­dung, Cat­fi­sh und media­le Chal­lenges waren unse­re Arbeits­ti­tel. Die Tex­te der Geschich­ten setz­ten sich aus den erdach­ten Dia­lo­gen der Schüler*innen sowie Sekun­där­tex­ten zum jewei­li­gen The­ma zusam­men. Die Sekun­där­tex­te ermög­lich­ten den Schüler*innen eine ver­tief­te Aus­ein­an­der­set­zung mit ihrem The­ma und bewahr­ten die gesam­te Col­la­ge vor einer ober­fläch­li­chen Dar­stel­lung der The­ma­tik. Bei der Aus­wahl der Musik war es aus daten­schutz­recht­li­chen Grün­den not­wen­dig, lizenz­freie Musik zu ver­wen­den, wes­halb wir die Schüler*innen bei Recher­che und Aus­wahl unterstützten.

Der DS-Unter­richt und das Gene­rie­ren des Mate­ri­als fan­den aus­schließ­lich digi­tal mit der tech­ni­schen und räum­li­chen Aus­stat­tung der Schüler*innen statt: Lap­top, Tablet, Han­dy­ka­me­ra, Mas­ke, Requi­si­ten und Büh­ne im eige­nen Schlaf­zim­mer. Vor­ga­ben muss­ten auf ein Mini­mum redu­ziert wer­den, zum Bei­spiel das Fil­men vor einer wei­ßen Wand sowie eine ein­heit­li­che For­mat­vor­ga­be. Hier­für war es erfor­der­lich, den Schüler*innen grund­le­gen­de Kennt­nis­se zum The­ma Fil­men und Schnitt zu ver­mit­teln. Die Schüler*innen haben dabei die unter­schied­li­chen Kame­ra­ein­stel­lun­gen – Detail, Groß, Nah, Halb­nah, Ame­ri­ka­nisch, Halb­to­ta­le, Tota­le, Weit – sowie Kame­ra­per­spek­ti­ven – Frosch­per­spek­ti­ve, Nor­mal­sicht, Vogel­per­spek­ti­ve – ken­nen­ge­lernt und muss­ten die­se in ver­schie­de­nen Auf­nah­men erproben.

Um die Ergeb­nis­se der ein­zel­nen Grup­pen zu struk­tu­rie­ren und einen Über­blick zu behal­ten, war es not­wen­dig, dass die Schüler*innen in ihren Grup­pen ein Film­kon­zept zu ihrer Geschich­te erar­bei­te­ten, was im Lau­fe des Pro­jekts kon­ti­nu­ier­lich erwei­tert wurde.

Phase 3: Zusammenfügen und Einüben

Die­se letz­te Pha­se konn­te auf­grund des Lock­down-Endes nach ca. sechs Mona­ten antei­lig im Prä­senz­un­ter­richt statt­fin­den. In die­ser Pha­se hat­ten die Schüler*innen das ers­te Mal die Mög­lich­keit, das gesam­te bis zu die­sem Zeit­punkt gene­rier­te digi­ta­le Mate­ri­al zu sich­ten, die Geschich­ten der ande­ren Grup­pe in Bild und nicht nur als Idee ken­nen­zu­ler­nen. Im Rah­men der geneh­mig­ten Thea­ter­ta­ge konn­ten die Schüler*innen die noch feh­len­den Sze­nen mit­tels Green­screen auf­neh­men und unser gemein­schaft­li­ches Pro­jekt ver­voll­stän­di­gen. In die­sen zwei Tagen wur­de also nicht wie üblich geprobt und an Details der Auf­füh­rung gefeilt, die Stim­mung war jedoch ver­gleich­bar mit der vor einer Auf­füh­rung: Außer dem Üben und Fil­men stand noch das Schnei­den an. Die Zeit war knapp, die Vor­freu­de groß und wie bei jeder Gene­ral­pro­be ging eini­ges schief. Hier wur­den die Tücken der Tech­nik beson­ders deut­lich: Datei­en fehl­ten, die­se waren zum Teil nicht rich­tig benannt, die Schüler*innen hat­ten ver­ges­sen, wich­ti­ge Sze­nen auf­zu­neh­men, die Han­dy­spei­cher waren voll, die Akkus waren leer usw.

Aufführung – oder Theater 2.0

Die Teil­nah­me am SDL und somit das ein­wö­chent­li­che Abtau­chen in die Welt des digi­ta­len Thea­ters, bei dem die Schüler*innen ande­re Wer­ke ken­nen­ler­nen konn­ten und ein Feed­back zu ihrem digi­ta­len Stück erhal­ten haben, hat wesent­lich zur Schaf­fung eines Wir-Gefühls bei­getra­gen. Eine Vor­füh­rung vor Live-Publi­kum konn­te auch das nicht erset­zen, das Thea­ter wur­de für die Schüler*innen auf die­se Wei­se jedoch erfahr­ba­rer gemacht – auch wenn hier eine Mischung aus Kino und Thea­ter vor­herrsch­te. Wir konn­ten beob­ach­ten, wie sie plötz­lich stolz auf das waren, was sie geschaf­fen hat­ten. Bis dahin war die­ses Gefühl – auf­grund des aus­blei­ben­den unmit­tel­ba­ren Feed­backs durch den Applaus nach einer Auf­füh­rung – noch nicht ent­stan­den. Hin­zu kam die feh­len­de Thea­ter­er­fah­rung der Schüler*innen, die sie zwei­feln ließ, ob das End­pro­dukt denn nun gelun­gen war oder nicht.

Highlights und Probleme

Problem: Unterschied Film und Theater

Eine gro­ße Her­aus­for­de­rung war die Erzeu­gung von Vide­os, die den­noch einen Thea­ter-Cha­rak­ter haben, schließ­lich sind die Seh­ge­wohn­hei­ten der Schüler*innen heut­zu­ta­ge von Kino, TV und Inter­net­vi­deo geprägt. Das Thea­ter hat sich nach einer zuneh­men­den Media­ti­sie­rung in Abgren­zung zu die­sen Medi­en defi­niert und wei­ter­ent­wi­ckelt. Es fand eine Abkehr von den natu­ra­lis­ti­schen Dar­stel­lun­gen im Thea­ter statt, da das Thea­ter bei der Nach­ah­mung der Rea­li­tät nicht mit den tech­ni­schen und visu­el­len Mög­lich­kei­ten des Films kon­kur­rie­ren konn­te. Eine Besin­nung auf die eige­nen Stär­ken führ­te zur Ent­wick­lung einer soge­nann­ten post­dra­ma­ti­schen Dra­ma­tur­gie, die die Stär­ken und Wir­kungs­kraft des Thea­ters her­aus­stell­ten. Ab den 1960er Jah­ren fan­den im Zuge der inter­me­dia­len Per­for­man­ces zudem digi­ta­le Medi­en ihren Ein­zug ins Thea­ter und sind heu­te aus dem pro­fes­sio­nel­len Thea­ter kaum noch weg­zu­den­ken. Ihr Ein­satz ent­spricht jedoch nicht den Seh­ge­wohn­hei­ten der Schüler*innen, son­dern schafft eher (post­dra­ma­ti­sche) Distanz, indem zum Bei­spiel Nah­auf­nah­men etwas ver­grö­ßern, was sonst auf der Büh­ne nicht zu sehen gewe­sen wäre. Die­ser Ein­satz stellt jedoch gleich­zei­tig eine Ver­zer­rung dar, weil Groß­auf­nah­men bei­spiels­wei­se die Grö­ßen­ver­hält­nis­se auf der Büh­ne in einer für das Auge unty­pi­schen Art und Wei­se anord­nen. Die Seh­ge­wohn­hei­ten der Schüler*innen ent­spre­chen jedoch eher dem nach­ge­spiel­ten All­tag in Rea­li­ty-Seri­en wie „Ber­lin Tag und Nacht“, was sich dann in den pro­du­zier­ten Vide­os wider­spie­gel­te. Hier genau lag unse­re Her­aus­for­de­rung, denn die Schüler*innen muss­ten trotz einer gerin­gen Erfah­rung mit Thea­ter das Medi­um Film neu ent­de­cken, da es dar­um ging, thea­tra­le Hand­lun­gen zu fil­men und nicht die nach­mit­täg­li­chen Soaps nach­zu­spie­len. Genaue Arbeits­auf­trä­ge sowie die Berück­sich­ti­gung der erlern­ten thea­ter­äs­the­ti­schen Mit­tel waren erfor­der­lich, um dem ent­ge­gen­zu­wir­ken und mit gelun­ge­nen Video­pro­duk­tio­nen die­se Seh­ge­wohn­hei­ten zu brechen.

In die­ser Hin­sicht muss man zusätz­lich berück­sich­ti­gen, dass gera­de das Sich-selbst-Fil­men bzw. die Selbst­dar­stel­lung via Video ein fes­ter Bestand­teil im Leben der Schüler*innen ist. Sich selbst zu fil­men und dar­zu­stel­len im pri­va­ten Raum gehört für die meis­ten Schüler*innen zum All­tag – jedoch war ein unmit­tel­ba­res Erle­ben der Reak­tio­nen auf die Eigen­pro­duk­ti­on für vie­le mit Scham besetzt. Das Schaf­fen einer ver­trau­ens­vol­len Atmo­sphä­re war hier­bei beson­ders wich­tig, um den Schüler*innen Sicher­heit zu geben. Trotz allem sind sie uns Spiel­lei­te­rin­nen im Bereich der Selbst­dar­stel­lung an Erfah­run­gen weit voraus.

Highlight: Der Sieg des Hochformats

Die­se Erfah­rung mach­ten wir sehr deut­lich bei einem Kampf um das Hoch­for­mat. Wir hat­ten in einem Lehr­gang zum Film­schnitt die Wich­tig­keit von im Quer­for­mat gedreh­ten Vide­os erlernt und bestan­den folg­lich dar­auf, dass die Schüler*innen im Quer­for­mat film­ten. Immer wie­der wur­den uns jedoch Vide­os im Hoch­for­mat zuge­sandt, die uns inhalt­lich und fil­misch gut gefie­len, die wir jedoch vor­erst nicht adäquat schnei­den konn­ten und somit als unbrauch­bar erach­te­ten. Je mehr unser Pro­jekt jedoch an Form gewann, sahen wir ein, dass die Schüler*innen Recht hat­ten und gewis­se Sze­nen im Hoch­for­mat gedreht wer­den muss­ten, um glaub­wür­dig zu sein. Gemeint sind damit vor allem die Sze­nen, in denen es um die Dar­stel­lung der Sozia­len Medi­en geht. Dort dreht nie­mand im Quer­for­mat, weil jeder sein Han­dy im Hoch­for­mat in der Hand hält – wäh­rend der Fern­se­her im Quer­for­mat an der Wand hängt. Die feh­len­de Wir­kung die­ser Sze­nen im Quer­for­mat wur­de uns zuneh­mend beim Schnei­den klar, so dass sich das Hoch­for­mat klar durch­setz­te. Damit begann das zwei­te Problem …

Problem: 400 Minuten generiertes Filmmaterial, von dem am Ende 20 Minuten verwendet wurden

Anders als das Pro­ben und Wie­der­ho­len auf der Büh­ne, die den thea­tra­len Moment der Flüch­tig­keit besit­zen, haben gefilm­te Sze­nen einen blei­ben­den Cha­rak­ter. Im Ver­gleich zu den Pro­ben auf der Büh­ne, die als sol­che wahr­ge­nom­men wer­den, wird ein gedreh­tes Video als End­pro­dukt wahr­ge­nom­men, das in sich stim­mig ist. Die Schüler*innen haben bereits viel Zeit in das Dre­hen und Auf­be­rei­ten des Vide­os inves­tiert, für sie ist es ein funk­tio­nie­ren­der Teil ihrer Geschich­te, die nur so Sinn ergibt. Es fiel den Schüler*innen daher zuneh­mend schwe­rer zu akzep­tie­ren, dass das von ihnen gene­rier­te Film­ma­te­ri­al immer wie­der gekürzt wur­de. Klar ist auch, dass durch jede Kür­zung auch eine inhalt­li­che Ver­än­de­rung vor­ge­nom­men wird, so dass die Schüler*innen anfangs häu­fig das Gefühl hat­ten, wir wür­den ihre Geschich­ten ver­än­dern. Dies war wie­der­um ihren media­len natu­ra­lis­ti­schen Seh­ge­wohn­hei­ten geschul­det, die ein linea­res Erzäh­len, eine mime­ti­sche Illu­si­ons­bil­dung und eine Figu­ra­ti­on ver­fol­gen. Der Cha­rak­ter der Frag­men­tie­rung bzw. frei­en Mon­ta­ge einer Col­la­ge, der Abs­trak­ti­on und Auf­lö­sung der Rol­len muss­te den Schüler*innen noch zugäng­lich gemacht wer­den. Die Fra­ge war nur, wie dies im Distanz­un­ter­richt ver­mit­telt wer­den konn­te. Wir hat­ten eine Idee, die zum High­light bzw. Durch­bruch wurde …

Highlight: Lehrer*innen im Homeschooling – der Durchbruch

Wir haben uns kur­zer­hand dazu ent­schlos­sen, für unse­re Schüler*innen ein Video über die Lehrer*innen im Home­schoo­ling zu dre­hen, um ihnen zu ver­deut­li­chen, was wir von ihnen beim hei­mi­schen Fil­men erwar­te­ten. Dies war der Durch­bruch, denn die Tat­sa­che, dass wir uns selbst vor die Kame­ra gestellt haben, hat Ver­trau­en geschafft. Ab dann haben sich die Schüler*innen getraut, thea­tral mit der Kame­ra zu expe­ri­men­tie­ren – das Video der Leh­re­rin­nen und Schüler*innen im Home­schoo­ling wur­de letz­ten Endes die ers­te Sze­ne in unse­rer Col­la­ge „App­so­lut­e­ly“. Die­se Sze­ne bil­det den Ein­stieg in unse­re neue digi­ta­le Rea­li­tät in Zei­ten des Lock­downs. Dar­auf fol­gen die sechs Geschich­ten rund um media­le Phä­no­me­ne sowie Zwi­schen­sze­nen, in denen die Apps sich verselbstständigen.

Durch das von uns Spiel­lei­te­rin­nen erstell­te Video konn­ten wird ver­deut­li­chen, wie thea­tra­le Ele­men­te durch das Spiel mit Ein­stel­lun­gen und Per­spek­ti­ven sowie durch Schnitt­tech­ni­ken und ‑geschwin­dig­keit umge­setzt wer­den konn­ten: Wir spiel­ten nicht uns selbst, aber authen­ti­sche Leh­rer­fi­gu­ren, die die Schüler*innen klar wie­der­erken­nen konn­ten. Mit weni­gen Requi­si­ten, wie einem Hin­ter­grund, einer Son­nen­bril­le oder einem Stift im Haar, wur­den authen­ti­sche oder aus­sa­ge­kräf­ti­ge Bil­der erzeugt. Anders als auf der Büh­ne stand weni­ger der Kör­per im Mit­tel­punkt, son­dern die Mimik, über die teil­wei­se mehr ver­mit­telt wer­den kann, als durch das gespro­che­ne Wort. Durch die Schnitt­tech­nik konn­ten thea­tra­le Mit­tel – wie Free­ze, Mickey Mou­sing, Zeit­raf­fer und Zeit­deh­nung – und Kom­po­si­ti­ons­me­tho­den – wie Wie­der­ho­lung, Stei­ge­rung, Bruch – in das Medi­um Film ein­ge­bun­den wer­den. Die Schüler*innen, die immer wie­der beton­ten, sie hät­ten DS gewählt, weil sie spie­len woll­ten, ent­wi­ckel­ten nun Spaß am Spie­len vor der Kame­ra und wir erhiel­ten immer mehr digi­ta­les Mate­ri­al. Damit begann unser größ­tes Pro­blem, näm­lich das siche­re Tei­len des Materials …

Problem: Speicherung und Teilen des Videomaterials

Hier setz­te nun unser größ­tes Pro­blem ein, näm­lich das Feh­len einer Platt­form, auf der das Video­ma­te­ri­al daten­schutz­kon­form gespei­chert und für alle sicht­bar gemacht wer­den konn­te, ohne dass die Mög­lich­keit bestand, das Mate­ri­al her­un­ter­zu­la­den, zu ver­viel­fäl­ti­gen und zu ver­brei­ten. Unser Video über die Lehrer*innen im Home­schoo­ling haben wir den Schüler*innen im digi­ta­len Unter­richt durch Tei­len des Bild­schirms gezeigt, dies konn­te jedoch nicht mit dem Film­ma­te­ri­al der Schüler*innen gesche­hen, so dass es nicht mög­lich war, den Schüler*innen das gesam­te Film­ma­te­ri­al sicht­bar zu machen. Die Schüler*innen kann­ten somit immer nur das Film­ma­te­ri­al ihrer Grup­pe. Den Gesamt­über­blick über das Mate­ri­al und die ent­ste­hen­de Col­la­ge hat­ten jedoch nur die Spiel­lei­te­rin­nen. Für uns bedeu­te­te dies auch über 40 Stun­den, die wir in den Schnitt inves­tier­ten. Am Ende hat­ten wir jedoch Glück und das Ende des Schul­jah­res konn­te dann doch wie­der im Prä­senz­un­ter­richt statt­fin­den. Somit kam es zu einem wei­te­ren High­light, näm­lich einer Pro­jekt­wo­che zur Fina­li­sie­rung unse­res digi­ta­len Stücks …

Highlight: Die Projekttage

Die Schüler*innen haben die bis zu die­sem Zeit­punkt erar­bei­te­te Col­la­ge mit dem Mate­ri­al aus dem Home­schoo­ling erst in der ers­ten Woche des Prä­senz­un­ter­richts zusam­men­hän­gend gese­hen. Dann begann der Fein­schliff, an dem alle gemein­sam mit­ge­wirkt haben. Ab da nahm die Arbeit auch deut­lich an Geschwin­dig­keit zu, denn nun hat­ten alle das End­pro­dukt vor Augen. In zusätz­li­chen Pro­jekt­ta­gen wur­den Zwi­schen­sze­nen, der Abspann und Kor­rek­tu­ren ein­zel­ner Sze­nen gefilmt. Die­ses Mal konn­ten wir auch auf pro­fes­sio­nel­les Equip­ment zurück­grei­fen, denn wir hat­ten eine pro­fes­sio­nel­le Kame­ra gewon­nen und über die Schu­le einen Green­screen mit Beleuch­tung anschaf­fen kön­nen. Auf­grund der knapp wer­den­den Zeit blieb der fina­le Schnitt dann aber doch wie­der in der Hand der Spielleiter*innen. Das Vor­stel­lungs­vi­deo und die Vide­os wäh­rend des SDL wur­den spä­ter jedoch voll­stän­dig von den Schüler*innen pro­du­ziert und geschnit­ten. Die Schüler*innen arbei­te­ten eigen­stän­dig mit thea­ter­äs­the­ti­schen Mit­teln, bau­ten beim Schnitt Wie­der­ho­lun­gen, Stei­ge­run­gen und Kon­tras­tie­run­gen selbst­ver­ständ­lich ein und schaff­ten es sogar mit­hil­fe von Pro­jek­tio­nen, ana­lo­ges und digi­ta­les Spiel mit­ein­an­der zu ver­schmel­zen und als digi­ta­les End­pro­dukt auf­zu­be­rei­ten. Hier wur­de für uns deut­lich, dass die Schüler*innen trotz des lan­gen Home­schoo­lings und einer aus­schließ­li­chen digi­ta­len Her­an­füh­rung an das Thea­ter ein Gefühl für digi­ta­les Thea­ter gewon­nen hat­ten und die kla­re Tren­nung zum Film und Fern­se­hen erreicht war.

Exemplarische Unterrichtsstunde

Ausgewählte Aufgaben und Materialien

SDL- Mediathek 
Wir stel­len alle Auf­füh­run­gen des SDL in unse­rer Fes­ti­val­me­dia­thek bereit. Tickets kön­nen für 29,90 Euro (regu­lär), 19,90 Euro (Mit­glie­der BVTS / Ver­bän­de) oder 9,90 Euro (wenn du einen Gäs­te­pass gekauft hast) erwor­ben wer­den. Zah­le per Über­wei­sung oder Pay­pal und erhal­te sofort Zugriff auf alle unten auf­ge­führ­ten Mit­schnit­te. Das Pass­wort erhältst du, sobald dei­ne Zah­lung ein­ge­gan­gen ist (bei Pay­pal sofort!). 
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Leonore Havemann 

Wohn­haft in Frank­furt; Leh­re­rin an der Hein­rich-von-Kleist-Schu­le in Esch­born (koope­ra­ti­ve Gesamt­schu­le mit gym­na­sia­ler Ober­stu­fe) für die Fächer Dar­stel­len­des Spiel, Deutsch und Ethik; 2016: Ers­te Staats­prü­fung in den Fächern Deutsch und Ethik; 2021: Erwei­te­rungs­prü­fung im Unter­richts­fach Dar­stel­len­des Spiel; 2014–2017: wäh­rend des Stu­di­ums Lei­tung krea­ti­ver Medi­en­pro­duk­tio­nen für Kin­der und Jugend­li­che an Schu­len und sozia­len Einrichtungen.

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Sophia Rosenkranz-Kalis 

Ist als gebür­ti­ge Deut­sche in Mexi­ko auf­ge­wach­sen, wo sie ihr Abitur erwarb, lern­te im Anschluss wäh­rend des Lehr­amts­stu­di­ums und Refe­ren­da­ri­ats das Bil­dungs­sys­tem von drei Bun­des­län­dern ken­nen (Nie­der­sa­chen, Baden-Würt­tem­berg, Hes­sen). Stu­di­um des Gym­na­si­al­lehr­amt in den Fächern Deutsch und Politik/ Wirt­schaft (Tech­ni­sche Uni­ver­si­tät Braun­schweig), Spa­nisch (Georg-August-Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen) und Dar­stel­len­des Spiel als Erwei­te­rungs­fach (Hes­si­sche Lehr­kräf­te­aka­de­mie). Unter­rich­tet seit 2010 an der Hein­rich-von-Kleist-Schu­le in Eschborn.

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