Von der Ständigen Konferenz Spiel und Theater an Hochschulen – Arbeitskreis Lehramt Theater/Darstellendes Spiel
Die aktuell durch die Corona-Pandemie im Hochschul- und Kulturbereich getroffenen Einschränkungen haben massive Auswirkungen auf die Ausbildungsqualität theaterpädagogischer Studiengänge und ‑inhalte und langfristig auf die personelle Versorgung im Arbeitsfeld Theaterpädagogik, in der außerschulischen kulturellen Bildung sowie im Fach Theater/Darstellendes Spiel an Schulen. Zwar stellt sich die Theaterpädagogik – ob als Hochschul-Studienfach oder in der kulturellen Bildung – den aktuellen Herausforderungen einer digitalen Lehre und Kommunikation mit experimentellen Formaten. Dennoch ist unsere Disziplin besonders stark von den aktuellen Einschränkungen betroffen, weil die Lehre vielfach präsenz- und körperorientiert sowie projektbezogen ist. Daher appellieren wir an alle hochschulpolitisch Verantwortlichen:
Dass es durchaus möglich ist, in theaterpädagogischen Studiengängen unter strengen Hygienebedingungen Präsenzunterricht durchzuführen, zeigen die Ausnahmen für künstlerische Hochschulen z. B. in Berlin und Rostock. Sollte es zu weiteren rein digitalen Semestern in Theaterpädagogik-Studiengängen kommen, so hätte dies nicht nur kurz‑, sondern auch langfristig gravierende Folgen:
(1) Kurzfristig: Verlust des Live-Resonanzraums Hochschule
Die eingeschränkte oder an manchen Hochschulen völlig eingestellte Präsenzlehre seit April 2020 und das Primat des Digitalen führen aktuell zu eklatanten Verkürzungen der theaterpädagogischen Hochschulbildung um entscheidende Qualitäten wie Körper‑, Szenografie- und Materialbewusstsein, Empathie- und Resonanzfähigkeit sowie kollektive Kreativität. Zentrale Inhalte wie Lehr- und Lernprinzipien der theaterpädagogischen Ausbildung und Studiengänge – körper- und raumbasierte sowie gruppenbezogene Standards – sind digital nur teilweise und sehr eingeschränkt vermittelbar.
Die performativ-forschende Bildungs- und Lernkultur der Theaterpädagogik basiert auf einer in Präsenz erfahrenen und geteilten Interaktion und Körperlichkeit von künstlerisch-ästhetischer und didaktisch-methodischer Praxis. Szenische und performative Praktiken, Einzel- und Gruppenarbeiten oder ‑projekte wie auch entsprechende Vermittlungsformen basieren auf leiblich-körperlicher Erfahrbarkeit und sozialer wie intersubjektiver Reflexion.
(2) Langfristig: Verlust des Entwicklungspotenzials der Theaterpädagogik-Studiengänge, der Ausbildung von Theaterlehrer*innen und des Fachs Theater/Darstellendes Spiel in Schulen
Qualitätseinbußen der künstlerisch-praktischen und methodisch-didaktischen Fertigkeiten in der Ausbildung wie in den Berufsfeldern der Theaterpädagogik deuten sich bereits an, Studienzeiten verlängern sich. Praktikums- und Netzwerkerfahrungen fallen wegen des Lockdowns weg. Junge und geplante Studienreformen oder Studiengänge werden verschoben oder in Frage gestellt (z. B. die Einführung eines Theater-Lehramtsstudiengangs in Hamburg im Rahmen der Lehrerbildungsreform).
Die reduzierten Ausbildungskapazitäten an den Hochschulen führen wiederum dazu, dass weniger ausgebildete Lehrkräfte oder Theaterpädagog*innen in der Schule für das Fach Theater/Darstellendes Spiel (jetzt schon Mangelfach z.B. in Hamburg) oder für das Arbeitsfeld der kulturellen Bildung zur Verfügung stehen. Weniger ausgebildete Theaterlehrkräfte bedeuten jedoch weniger Fachunterricht und weniger Chancen auf ästhetische Bildung und kulturelle Teilhabe für alle Schüler*innen.
Bildung und Wissenschaft brauchen Präsenz
In einem mit der Pandemie beginnenden gesellschaftlichen Umbauprozess wird insbesondere ein transgenerationeller Dialog über Werte, politische Prioritäten und die Fragen „Wie wollen wir zusammen leben? Wie werden wir als Gesellschaft resilienter?“ notwendig. Gerade dafür können Theater, Theaterpädagogik und Kulturvermittlung als Zukunftslabore wichtige Strategien, Handlungs- und Begegnungsräume bereitstellen. Theaterpädagog*innen können bei der Rückgewinnung von sozialen wie körperlichen Interaktionen, öffentlichen Räumen und einer alternativen Perspektivierung von Welt und ihren Wirklichkeiten zentrale Impulse geben.
Die dargestellten Probleme und Herausforderungen stehen in dem größeren Kontext von Forschung und Lehre, Wissenschaft und Bildung in Zeiten der Pandemie. Wenn sich der Bildungsanspruch von Universitäten auf eine rein formal wirksame Betriebsamkeit beschränkt, die im Paradigma der digitalen Funktionalität zum business as usual und so zur Geste der Innovation in Sachen Digitalisierung verstanden wird, fallen gesellschaftlich dringend notwendige Räume des inhaltlichen Austausches ersatzlos weg. Darum ist es uns wichtig, über unsere fachspezifischen Forderungen hinaus auf die langfristigen, bisher öffentlich wenig diskutierten Folgen der Pandemie für Wissenschaft und Studium hinzuweisen. Hochschulhaushalte zu kürzen und Zukunftsprojekte zu streichen, ist ein fatales Zeichen. Wir solidarisieren uns deshalb mit anderen Fachdisziplinen und fordern, den gesellschaftlichen Stellenwert und die Präsenz von Wissenschaft und Hochschule auch und besonders in einer solchen Krise anzuerkennen und zu sichern.
Foto: Christof Heinz
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