Theaterpädagoge ( BuT®), Kunstpädagoge und Historiker, Fachkraft für Suchtprävention und
sozialpsychatrischer Bezugsbegleiter.
Theaterpädagoge ( BuT®), Kunstpädagoge und Historiker, Fachkraft für Suchtprävention und
sozialpsychatrischer Bezugsbegleiter.
Not macht erfinderisch. Die Ausgangssperren, die mit Schulschließungen im Zuge der Eindämmungsverordnungen zur Corona-Pandemie einhergingen, waren und sind für Kinder und Jugendliche (KuJ) eine außerordentliche Herausforderung. Was Kulturrevolutionäre über Jahrzehnte forderten, nämlich die Problematisierung und Ausschaltung von Schule als institutionalisierter Lernbehinderung 1(vgl. Holzkamp 1993, Singer 1973, vgl. Illich 1972 +1970), die Pandemie machte es amtlich. Schulen wurden geschlossen, die Rede war und ist von „Digitalisierung der Schulen“ und von „Distanzunterricht“. Letzterer meint weniger das Training von Abstand, der im quirligen Alltag schwer einzuhalten ist und wirklich geübt werden sollte, sondern Unterricht, der über große Strecken realisiert wird. Lernen findet außerschulisch im „Homeschooling“ statt.
Die Idee für das Projekt „THEATER GOES DIGITAL – Medienkompetenz für junge Künstler*innen“ entstand im Sommer, jener Zeit, in der Begegnung und Bewegung im beschränkten Rahmen wieder möglich schien. In Berlin traf sich „mit Abstand“ eine Gruppe zum Stammtisch der Theaterpädagog*innen am Theaterhaus (auf der Wiese). Die Kolleg*innen scharrten mit den Füßen, endlich wieder aktiv zu werden. Sie nutzten den Aufruf des Bundesverbandes Theaterpädagogik e.V. zu verstärkten Aktivitäten für eine Kompensation der Pandemie-bedingten Ausfälle im Bereich Kultureller Bildung. Sie mobilisierten flugs Kolleg*innen, die in überregionaler Reichweite arbeiteten. Es fanden sich vier KuJ-Gruppen aus drei Bundesländern, die sich mit Teilprojekten zu einem größeren Projekt zusammenschlossen. Die digitale und vielfältig mediale Welt sollte genutzt werden, so die Ideenskizze, „als Bereicherung für die theaterpädagogische Arbeit“. Erforscht werden sollte „was möglich ist, wenn die digitale/mediale Welt – und die Theaterwelt sich begegnen und gegenseitig bestärken.“ (Zimmer)
Unter dem Dach des Bundesverbandes Theaterpädagogik e.V. entstand eine Zusammenarbeit von ausgesprochen heterogenen Kooperationspartner*innen. Da ist die „tandem BTL gGmbH“ mit einer Förderschule in Berlin-Wittenau (Bezirk Reinickendorf), der evangelische Kirchenkreis Berlin Friedrichshain-Süd (Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg), das Mehrgenerationenhaus „Haus Steinstraße e.V.“ in der Leipziger Südstadt, sowie einer Gruppe aus Bernau und Eberswalde, die aus einem Projekt mit dem Humanistischen Verband Deutschland (HVD) hervorging. Einige Trägerorganisationen sorgten durch Freistellung ihrer Mitarbeiter*innen für die erforderlichen Eigenanteile. In der Umsetzung sollten bei allen Gruppen Alltagsthemen den Stoff für das szenische Material liefern. Methodisch sollten digitale und mediale Möglichkeiten wie zoom, Tik Tok, Snapchat, Videotechnik mit Elementen des Theaters in Verbindung gebracht werden. Die Laufzeit ging von Oktober bis Dezember 2020.
Die Gruppe in Leipzig konstituierte sich aus dem Improvisationstheaterkollektiv „All-Inclusive“, das im „Mehrgenerationenhaus Steinstraße“ probt. Sie nannten ihr Projekt „Digitales Sofa-Theater“. 4 bis 12 KuJ im Alter zwischen 11 und 25 Jahren trafen sich von November bis Dezember sieben Mal auf dem häuslichen Sofa zum digitalen Zoom-Meeting. Gestaltungselemente waren biografische Geschichten, Spiele des Impro-Theaters, sowie Grundsätze der „Gewaltfreien Kommunikation“: „herzerwärmend, überraschend, manchmal konfrontierend und immer verbindend“ (Richter, in: Zimmer). Ein Kind warb weitere Kinder aus der Leipziger Nachbarschaftsschule. Nach einer „Eincheckrunde“ wurde von Bedürfnissen und Gefühlen gesprochen. „Was macht die räumliche Distanz mit mir? Wie lange kann ich empathisch zuhören ohne die Chatfunktion im Hintergrund zu öffnen?“ (ebd.) Technisch wurden Bildhintergründe und digitale Masken erprobt.
In Berlin Wittenau nannte sich das Projekt „#DigiJugend“. Die geplante Projektwoche musste aufgrund der allgemeinen Restriktionen abgesagt werden. Stattdessen wurde mit 4 bis 7 Jugendlichen aus der Gruppe zur „Ergänzenden Förderung und Betreuung“ des Förderzentrums der Schule am Park (tandem gGmbH) in der Nachmittagsbetreuung gearbeitet. „Viele Aktivitäten konnten durch die Pandemie nicht ausgeführt werden. Die Jugendlichen nahmen das Projekt umso dankbarer und motiviert an. Es herrschte überwiegend eine gute Stimmung und ein wohlwollendes Gemeinschaftsgefühl.“ (Altfelde, Streibelt) Die Gruppe hatte das Glück, sich am Anfang in der Präsenzzeit der Schule zu treffen. Für den Anfang und den jeweiligen Abschluss wurden Rituale entwickelt, die digital beibehalten werden konnten. Ein Ergebnis der Arbeit war die Feststellung: Jugendliche mit Beeinträchtigungen sind durch die Pandemie und ihren Bekämpfungsstrategien in ihrer Autonomie eingeschränkt und leiden unter der Fremdbestimmung. Das Anfangsritual war eine Variante des Spiels „Ich packe meinen Koffer“ mit dem Subtext „Ich spiele heute Theater, und es spielen mit…”. Orientierung boten die Fragen: „Was kann ich?” „Was ist typisch für mich?” „Wer möchte ich sein?”. Technisch gab es Einführungen in die Gestaltungselemente des Films: Perspektive, Sounddesign, Bedienung der Kamera. Die Vorerfahrung war sehr different, vom Neuling bis zum Kenner war alles vertreten.
In Berlin-Friedrichshain betrieb die Gruppe der evangelischen Kirche das Projekt „Die Entdeckung der Weihnachtsinsel“. Sie konnten das Projekt nur mittels einer Ausnahmeregelung durchführen, in dem das jährliche „Krippenspiel“ (erlaubt) den Rahmen gab für eine Stop-Motion-Produktion. Die KuJ konnten ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit der Corona-Zeit einfügen. Die „Story“ entstand während einer zoom-Session, eine weitere befasste sich mit den „Charakteren“. Es entstanden „Pappfiguren nach dem SouthPark-Vorbild“ (Geighardt). An einem Wochenende wurden die Tonstimmen aufgenommen. Die KuJ durften nur einzeln zur Aufnahme erscheinen. „Eine Sekunde im späteren Film würde mindestens 5 – 9 Bilder benötigen. Da der Film 16 Minuten lang sein würde, rechneten sie lieber nicht weiter.“ (ebd.) Es wurden Animationen und „green-screens“ ausprobiert und die Einsatzmöglichkeiten von Aufnahmegeräten. Positiv bewerteten die KuJ den Effekt, dass trotz der Einzelarbeit im „Homeoffice“ ein gruppendynamisches Gesamtwerk und „Wir-Gefühl“ entstand.
Das Teilprojekt „#verschwinde(n)“ aus Bernau und Eberswalde war aus einem Sommerferienprojekt zum Thema „Ausgrenzung und Mobbing“ hervorgegangen. Die Bezugspunkte, die durch das Projekt gesetzt wurden, waren einerseits ein Medienkompetenztraining und andererseits die künstlerische Gestaltung. Gestalterische Fragen waren: „Wie kann man den Eindruck erwecken, dass echte Gespräche stattfinden und das Publikum in eine Welt entführen, die es einbindet? Wie können geteilte Bildschirme, Musik und Hintergründe in Zoom als dramatisches Mittel eingesetzt werden?“ (Härtlein) Teil des Medienkompetenztrainings waren die Aspekte: ‚Sicherheit im Netz‘, wie z.B. die Aufdeckung von Fake News. Es entstand ein Film in Form einer Zoom-Präsentation, der dem Publikum zeigt, wie die KuJ lernen, kreative Ideen umzusetzen.
In den zentralen Erfahrungen subsummiert Projektleiterin Veronika Zimmer (Theaterpädagogin): „Handy, Facebook, Instagram – die modernen digitalen Kommunikationsmittel sind die Medien der Jugend! Damit kennen sie sich aus, besser als alle anderen. Pustekuchen! (…) So mussten wir feststellen, dass ein erheblicher Teil der Arbeit in der Vermittlung von technischen Kompetenzen und deren Möglichkeiten für eine kreative Arbeit, aber auch der Diskussion von Grenzen und Gefahren der digitalen Medien bestand. Daraus folgte, dass in einzelnen Teilprojekten analoge Treffen fast unabdingbar blieben, mindestens so lange bis diese genannten Kompetenzen vermittelt waren. Trotzdem schafften es alle Teilprojekte, sich künstlerisch mit den jeweils gewählten Themen auseinanderzusetzen und spannende Erfahrungen und Ergebnisse zu erzielen.“ Das Ergebnis sind begeisterte Kinder und Jugendliche, die sich dringend und unbedingt ein Folgeprojekt wünschen.
Manfred Spitzer: Digitale Demenz, München 2012.
Klaus Holzkamp: Lehren als Lernbehinderung?, in: Forum Kritische Psychologie 27, Hamburg 1993, S. 5–22.
Richard David Precht: Anna, die Schule und der liebe Gott. Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern, München 2013.
Kurt Singer: Verhindert Schule das Lernen? Psychoanalytische Erkenntnisse als Hilfe für Erziehung und Unterricht, München 1973.
Ivan Illich: Entschulung der Gesellschaft. Mit einem Vorwort von Hartmut von Hentig, München 1972.
Ivan Illich: Schulen helfen nicht. Über das mythenbildende Ritual der Industriegesellschaft. Strukturen einer Kulturrevolution, Reinbek 1972, München 1970, New York/USA 1970.
Marco Altfelde, Melanie Streibelt: „#DigiJugend“ Bericht Theater goes digital“, Berlin 2020.
Katti Geighardt: „Die Entdeckung der Weihnachtsinsel“. Bericht Friedrichshain, Berlin 2021.
Ruth Jaya Härtlein: „#verschwinde(n)“, Bericht zum Teilprojekt, Bernau 2020.
Annelie Richter, Richard Schut: „Digitales Sofa-Theater“. Projekt-Bericht , Leipzig 2021.
Veronika Zimmer: Zentrale Erfahrungen zum Projekt ‚Theater Goes Digital‘, Berlin 2021.
Veronika Zimmer et al: Theater Goes Digital – Medienkompetenz für junge Künstler*innen, Berlin 2020.
Titelfoto: Katti Geighardt; zweites Foto (Screenshot): Jaya Härtlein
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