Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr, lehrt und forscht am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz; Künstlerischer Leiter von InterACT, Werkstatt für Theater und Soziokultur.
Mag. akademischer Theaterpädagoge, Erwachsenenbildner und Sozialpädagoge, seit 2005 hauptberuflich bei InterACT, Werkstatt für Theater und Soziokultur angestellt.
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr, lehrt und forscht am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz; Künstlerischer Leiter von InterACT, Werkstatt für Theater und Soziokultur.
Mag. akademischer Theaterpädagoge, Erwachsenenbildner und Sozialpädagoge, seit 2005 hauptberuflich bei InterACT, Werkstatt für Theater und Soziokultur angestellt.
„Es herrscht ein reges Kommen und Gehen!“
In Summe „klickten“ sich mehr als doppelt so viele Menschen in die Online-Aufführungen „ein“ wie bei vergleichbaren InterACT-Live-Aufführungsserien. Dabei war auffällig, dass die durchschnittliche Verweildauer im Live-Stream bei ca. 40 Minuten lag. Was im Theaterraum kaum gewagt wird, ist im virtuellen Raum ganz leicht möglich – die Performance jederzeit wieder zu verlassen, später zu kommen oder nur für eine halbe Stunde vorbeizuschauen. Zudem gab die sichtbare Zuschaltung der über ZOOM mitwirkenden Zuschauer*innen Einblicke in Privates, einige aßen, tranken oder rauchten während der Aufführung und bei manchen wurden größere Ausschnitte der Wohnräume sichtbar. Diese offensichtliche Vermischung von privat und öffentlich wird im analogen theatralen Raum in der Regel vermieden. Vielmehr wird dadurch deutlich, wie sehr im analogen Theaterraum der Prozess der Aufführung von der kollektiven physischen und emotionalen Präsenz und Konzentration des Publikums mitproduziert wird, beim Forumtheater noch umso mehr durch die bewusste Interaktion. Außerdem sind Forumtheateraufführungen, die bewusst mit dem Konflikten und Krisen arbeiten, in der Regel oft auch emotional und thematisch herausfordernd, wie sich auch in Publikumsbefragungen immer wieder zeigte (Wrentschur, 2019, 814ff.). Der transformierenden Forumphase geht die verbindende Erfahrung der Krise voraus. Ein „Theater als Raum der sozialen Grenzverhandlung“, als „anderer Raum […], als soziale Heterotopie“ (Wihstutz 2012, 17) basiert auf der Ermöglichung „der Begegnung zwischen Publikum als Öffentlichkeit und den ‚Unsichtbaren‘ der Gesellschaft“ (ebd., 136), was gerade beim Forumtheater eine relevante Dimension und Grundlage für dessen Wirkungsweisen darstellt. Und noch etwas konnte nicht stattfinden, was wir gerade nach Forumtheateraufführungen sehr oft erleben – dass die Zuschauer*innen bleiben, zusammensitzen oder ‑stehen und über die Aufführung, die Einstiege und politischen Vorschläge intensiv diskutieren. Und dennoch gab es zahlreiche Rückmeldungen, dass Forumtheater auch auf diese Weise berühren, bewegen und aktivieren kann. Ein Zuschauer, der wie viele andere selbst über prekäre Arbeitserfahrungen verfügte, war so betroffen, dass er sich das Stück nicht weiter anschauen wollte, weil ihn die Szenen zu sehr an die eigene Arbeitssituation erinnerten.
„Wer bestimmt die Perspektive?“
Abschließend noch ein paar Zeilen zur Frage, inwieweit sich durch diese digital vermittelte Form die Praxis des Theaterspielens und die Art der Ästhetik änderten: Die Inszenierungen der beiden szenischen Reportagen wären auch ohne deren Übertragung in den virtuellen Raum nicht anders gewesen. Dennoch wird im „Bildschirmmodus“ des Internets eine andere, visuell bestimmte Ästhetik daraus. Die Bildregie wird maßgeblich dafür, was aus welcher Perspektive und mit welchem Fokus – es waren drei Kamera dabei – gezeigt und übertragen wird. Bei einer Live-Aufführung ist es als Zuschauer*in möglich, selbst den Fokus auf das Gesamtbild oder auf Details zu legen, auf einzelne Rollen oder auf deren Zusammenspiel und dabei nicht nur visuell, sondern eben auch auditiv und atmosphärisch wahrzunehmen. Beim Online-Forumtheater hat die Macht des theatralen Bildes auch etwas mit der Macht des Bildregisseurs und der Kameraführung zu tun und es kommt zu einer Übermacht des Visuellen. Andererseits wurde diese Macht der Live-Stream-Regie immer wieder gebrochen und es entstanden über die bildlich-digitalen Interaktionen im Rahmen der Videokonferenz immer wieder spontane, humorvolle und durchaus stimmige Momente, etwa wenn sich ausgerechnet beim Thema „Schwierigkeiten der Vereinbarkeit von Home-Office und Home-Kinderbetreuung“ das Kleinkind einer Expertin auffällig ins Bild drängte.
Die in unserem Beitrag beschriebenen Themen und Fragen eines „Online-Forumtheaters“ sind es wert, gerade in der Verbindung von analoger mit digitaler Theaterpraxis noch weiter reflektiert und beforscht zu werden.
Insgesamt sind die Erfahrungen für uns dahingehend ermutigend, dass wir vor allem für „Legislative Theater“-Projekte und Veranstaltungen, bei denen das Forumtheater stärker partizipativ und politisch positioniert wird, hybride Varianten interessant finden. Dadurch können mehr Menschen an verschiedenen Orten mitwirken, mitbestimmen und – bei der Präsenz von politischen Verantwortungsträger*innen – „mitbezeugen“.
Live-Stream-Première von Working Poor. Weitere Streams und Infos hier.
Boal, Augusto (2013): Hamlet und der Sohn des Bäckers. Die Autobiografie. Übersetzt von Brigit Fritz und Elvia M. Gross, hrsg. von Birgit Fritz. Wien: mandelbaum kritik & utopie.
Clausen, Jens/Hahn, Harald (2009): Die Moderation und die Rolle des Jokers im Kieztheater. In: Clausen, Jens/Hahn, Harald/Runge, Markus (Hrsg.) (2009): Das Kieztheater. Forum und Kommunikation für den Stadtteil. Band 4 der Berliner Schriften zum Theater der Unterdrückten (hrsg. von Harald Hahn). Stuttgart: Ibidem, S. 64–75.
Wihstutz, Benjamin (2012): Der andere Raum. Politiken sozialer Grenzverhandlungen im Gegenwartstheater. Zürich-Berlin: diaphanes.
Wrentschur, Michael (2019): Forumtheater, szenisches Forschen und Soziale Arbeit. Diskurse – Verfahren – Fallstudien. Weinheim-Basel: Beltz Juventa.
Fotos: Wolfgang Rappel / InterACT
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